Vom Nutzen des Unterlassens
Im Jahr 2008 schien es mal wieder, als sei der Kapitalismus am Ende. Das globale Finanzsystem stand beängstigend nahe vor dem Zusammenbruch und konnte nur durch staatliche Garantien und massive Liquiditätsspritzen gerettet werden. Etwa zeitgleich veröffentlichte Klimadaten zeigten unmissverständlich, wie dramatisch es um unseren Planeten bestellt war.
Unter dem Eindruck dieser Ereignisse schrieb Juliet B. Schor 2010 ihr Buch "Plenitude", das jetzt in deutscher Sprache unter dem Titel "Wahrer Wohlstand" erschienen ist. Die US-Ökonomin und Professorin für Soziologie möchte darin einen gangbaren Weg aus der Sackgasse aufzeigen, der die Kohlendioxidemissionen und unseren ökologischen Fußabdruck reduziert, gleichzeitig aber ein Leben in Wohlstand ermöglicht.
Dazu entwickelte die Forscherin ein alternatives Lebens- und Wirtschaftskonzept. Es beruht darauf, weniger zu arbeiten und zu konsumieren, sich zunehmend selbst zu versorgen und soziale Kontakte zu pflegen. Das habe nicht nur ökologische Vorteile, weil es mit weniger Emissionen einhergehe, sondern führe auch zu einem Zuwachs an Lebensfreude.
Zeit, Geld, Zufriedenheit
Wer weniger arbeitet, gewinnt Zeit. Die könne man mit den Liebsten verbringen und dazu nutzen, Lebensmittel für den Eigenbedarf anzubauen. Zudem ließe sich Arbeit gerechter verteilen, es gäbe weniger Arbeitslose. Wer weniger arbeitet, habe außerdem nicht so viel Geld, um unnötige Dinge zu kaufen. Das schone die Umwelt.
Die Autorin empfiehlt deshalb, den Begriff Wohlstand neu zu definieren. Wahrer Wohlstand sei nicht am Bruttoinlandsprodukt zu messen, sondern müsse auch den ökologischen Fußabdruck und die Lebenszufriedenheit berücksichtigen. Die aufwändig recherchierten Fakten, die Schor in ihrem Buch präsentiert, sind an sich nicht neu, belegen aber, wie dringend es nach einer Verhaltensänderung verlangt.
Dazu hat sich Björn Kern entschlossen. Der mehrfach ausgezeichnete Schriftsteller beschreibt in "Das Beste, was wir tun können, ist nichts" mit viel Humor, wie er eines Tages entschied, sein Leben zu ändern – mit dem Ziel: weniger Arbeit, mehr Zeit, mehr Leben. Er kündigte seinen Job in einer Textagentur, kaufte sich in den verlassenen Weiten des Oderbruchs einen alten Hof und beschloss, sich dem Nichtstun hinzugeben.
Selbstversorger
Nichtstun heiße allerdings nicht, "nichts" zu tun, sondern die falschen Dinge sein zu lassen. So arbeitet er so wenig wie möglich und verbringt seine Tage meist auf einer Bank unter einem Birnbaum. Von dort aus erzählt er dem Leser mit charmanter Selbstironie kurzweilige Geschichten vom Nichtstun. Tut man nichts, tut man vor allem eines: Man kürzt ab. Denn wieso soll man arbeiten, um sich Gemüse kaufen zu können, das man auch selbst anbauen kann?
Nichtstun mache nicht nur glücklicher, es helfe auch der Umwelt. "Auf meiner Bank verbessere ich die Welt nicht durch Tun, sondern durch Unterlassen. Denn Nichtstun ist friedlich und umweltverträglich", glaubt Kern. So betrachtet ist Nichtstun kein Verlust, sondern Gewinn.
Beide Autoren argumentieren gesellschaftskritisch und zeigen, wie weniger Arbeit zu einem erfüllteren Leben führen kann – auf jeweils eigene Weise. Während "Wahrer Wohlstand" als klassisches Sachbuch durch genaue Recherche und wissenschaftliche Expertise punktet, ist die Selbstreflexion von Kern eine leichte Lektüre mit großem Unterhaltungswert.
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