»Waldnatur«: Als Holzlieferant zu schade
Der Vielschreiber Josef H. Reichholf hat es wieder getan: Nachdem in den vergangenen beiden Jahren bereits Bücher über den Regenwald, über heimische Säugetiere, über das Verhältnis von Hund und Mensch sowie über Flüsse erschienen sind, hat er jetzt ein Werk über den heimischen Wald verfasst. In »Waldnatur – Ein bedrohter Lebensraum für Tiere und Pflanzen« wagt er sich mit neuen Blickwinkeln auf ein altbekanntes Thema an einer Art Standortbestimmung des Waldes.
Keine Scheu vor vermeintlich einfachen Fragen
Der Autor scheut sich nicht, vermeintlich leichte Fragen zu stellen: Wald, was ist das überhaupt? Warum erzeugen Bäume so viel Holz? Wozu dienen die unterschiedlichen Blattformen? Wie ist der Wald als Ganzes strukturiert? Am Anfang steht also eine Bestandsaufnahme und Standortbestimmung, die, wie bei Reichholf üblich, anschaulich und unterhaltsam geschrieben ist. Jederzeit merkt man dem Autor an, dass er weiß, wie und wovon er spricht. Reichholf ist zwar ein Freund provokanter Thesen, aber eben auch Biologe und Ökologe mit langjähriger Lehrerfahrung an der TU München. Insofern hebt sich das Buch wohltuend von jenen Waldbüchern ab, die mehr gefühltes als belegbares Wissen vermitteln.
Ein bisschen pointierter – sprich: politischer – wird es dann aber doch. Der Autor weist auf die wichtige Unterscheidung zwischen Wald und Forst hin. Wald, das ist das extrem seltene, strukturreiche, natürlich gewachsene und sich selbst überlassene Ökosystem, das von Bäumen dominiert wird. Forst ist der gewaltig große Rest: Flächen mit Bäumen, die in Reih und Glied stehen, die alle das gleiche Alter haben und im Grunde wie Felder intensiv bewirtschaftet werden (bei Bedarf auch mit starkem Pestizideinsatz) – nur mit deutlich verlangsamtem Wachstumszyklen. Was wir verallgemeinernd Wald nennen, ist auf mehr als 90 Prozent der Fläche Forst. Ein Wirtschaftswald also, in den schnurgerade Rückegassen gefräst sind, damit die riesige Harvester kommen und Bäume ernten können.
Reichholf spricht nur das Offensichtliche aus. Ebenso wie die Strukturen in der Massentierhaltung ganz andere sind als jene auf einem kleinen ökologischen Betrieb mit Weidehaltung. Aber der romantische Sehnsuchtsort Wald klingt in uns bis heute so sehr nach, dass die Unterscheidung in Wald und Forst immer noch etwas Schockierendes hat.
Der Autor lässt auch an der gängigen Jagdpraxis kaum ein gutes Haar: Vor allem das Rotwild, aber auch Rehe seien von Natur aus gar keine ausgeprägten Waldtiere (ein großes, ausladendes Geweih ist dort ja auch eher hinderlich), sondern nur vom Menschen mit seiner Flinte dorthin vertrieben worden. Im Forst verbeißen sie dann die auf weiter Fläche neu gepflanzten Bäume. Der entstehende Schaden ist viel größer, als er es in einem natürlichen Wald wäre, wo die Jungbäume nicht so konzentriert auf einer Stelle stehen. Die Kosten liegen viel höher, als wenn man das Wild auf den landwirtschaftlichen Flächen – quasi als Ablenkfütterung – dulden würde.
Für das Forst-Wald-Dilemma hat Reichholf einen radikalen Lösungsvorschlag parat: Weil es viel zu viel Forst und viel zu wenig Wald gibt, sollte in den Staatsforsten künftig komplett auf die Bewirtschaftung verzichtet werden. Das würde nicht nur die Qualität des Ökosystems wesentlich verbessern, sondern auch eine Menge klimaschädliches CO2 binden. Besonders große Aussichten auf Erfolg werden solcherlei Überlegungen in naher Zukunft nicht haben. Aber allein, dass der Autor eine solch verwegene Idee überhaupt anspricht, entfaltet eine gewisse Wirkung.
Nach der Lektüre des Buchs werden die Leser und Leserinnen wahrscheinlich mit offeneren Augen durch den Wald – pardon, Forst – gehen. Sie werden die Zeichen der Bewirtschaftung erkennen und der ökologischen Verarmung, die damit einhergeht. Und vielleicht fragen sie sich sogar, ob diese seit Jahrhunderten gängige Praxis wirklich notwendig und alternativlos ist.
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