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»Wanderer zwischen den Welten«: Die Stadt als Lebensraum für Vögel

Wie Vögel in Städten leben und wie Städte mit Vögeln umgehen, schildert Caroline Ring unterhaltsam und lehrreich.
Tauben im Park

»Es gibt wenige Orte hierzulande, wo man auf so kleiner Fläche so viele verschiedene Vogelarten beobachten kann.« Wo? In Berlin! Überraschend für viele – aber »in unserer Zeit sind Städte zu Inseln der Vielfalt geworden«, so der Zoologe und Ökologe Josef Reichholf, denn »ein Meer von Monotonie umgibt sie«: Rapsfelder und Fichtenforste seien für Vögel und andere Tiere regelrechte Wüsten – Städte dagegen können Lebensraum und Nahrung bieten. Und daher reist die Autorin Caroline Ring durch Deutschland und besucht zwölf Städte – und sucht dort jeweils einen Vertreter aus der Vogelwelt, der aus verschiedenen Gründen ein auffälliges oder besonderes Leben führt.

In ihrem Buch »Wanderer zwischen den Welten – Was Vögel in Städten erzählen« schildert Ring anschaulich Städte aus der Vogelperspektive: Wo finden Vögel gute Lebensbedingungen, wo ein Notquartier? Wer hilft ihnen beim Überleben, wer vertreibt sie? Ring lässt uns Leser an ihren Spaziergängen zu den Vögeln teilhaben, wir erleben ihre Faszination mit und lesen viel Interessantes über Biologie und zahlreiche Anekdoten. Illustriert ist jedes Kapitel mit einer Vogelzeichnung von der Autorin selbst.

Caroline Ring hat Biologie mit Schwerpunkt Evolutionsbiologie in Hamburg und Berlin studiert. Nach Stationen im Berliner Naturkundemuseum und bei Zeitungen arbeitet sie heute als freie Journalistin und Autorin in Berlin. Hier beginnt auch ihre Reise: In der Hauptstadt lassen sich rund zwei Drittel aller in Deutschland vorkommenden Vogelarten finden. Und im Frühling könne man vermutlich nirgendwo mehr Nachtigallen singen hören als dort. Mit Kim Mortega, Forscherin am Berliner Naturkundemuseum, spaziert Ring frühmorgens zu typischen Nachtigallrevieren, beschreibt Besonderheiten der Lebensweise sowie Anpassungen an den städtischen Lebensraum.

Eine besondere Anpassung an eine Stadt findet Ring in Hildesheim: Dort wohnen Uhus im Dom. 2014 nistete erstmals ein Uhupaar in einer eigentlich zu kleinen Turmfalken-Nisthöhle am Hildesheimer Dom. Lebhaft beschreibt die Autorin den Sprung der Uhuküken 25 Meter in die Tiefe (den sie normalerweise überleben, aber dann ein »Gehege« brauchten), wie 2017 Uhuküken im Kreuzgang herumspazierten, bis sie nach rund zehn Wochen flügge wurden – aber auch, wie fatal es für Uhus sein kann, wenn ein Elternteil während der Brut stirbt. Eulenexperte Wilhelm Breuer wurde zum Helfer und Vertreter der Dom-Uhus – ohne seine Hilfe hätten die Uhus wohl nicht überlebt.

So ist es auch anderswo: Ohne menschliche Hilfe gäbe es weniger Vögel in Städten. In Weimar beispielsweise kümmert sich Helga Brunnemann um eine Vogelart: Sie pflegt verletzte Mauersegler in ihrer Wohnung, aber nicht nur das: Diese Vielflieger haben es schwer, seit in sanierten Gebäuden plötzlich die Nistmöglichkeiten fehlen – Brunnemann kümmert sich auch um das Anbringen von Nistkästen an den früheren Brutstätten. Und in Hamburg fängt im Herbst eine ganze Schar von Helfern die rund 120 Höckerschwäne auf der Alster, um sie in ihr Winterquartier zu bringen. Warum? Weil laut einer Legende Hamburg keine Freie und Hansestadt mehr ist, wenn keine Schwäne mehr auf ihren Kanälen, Flüssen und Seen schwimmen. Ring ist beim Spektakel dabei – und wir mit ihr.

Bei einem weiteren Spaziergang erzählt Ring, wie und warum scheue Waldbewohner – nämlich Amseln – Städte wie Bamberg für sich eroberten und die häufigsten Vögel in Deutschland wurden. In der Münchner Innenstadt dagegen gibt es nur noch sehr wenige – der einst sehr häufigen – Spatzenkolonien, um deren Erhalt sich nur zwei Menschen kümmern.

Nicht immer verläuft das Zusammenleben von Vögeln und Menschen in der Stadt problemlos. In Mainz spürt Ring den Problemen nach, die Spechte an Hauswänden verursachen: Die Löcher in den Wänden klopfen sie unter anderem, weil die Wärmeverbundsysteme der Wände einen guten Resonanzraum für Spechte bieten. Christian Henkes erklärt ihr, was manchmal dagegen hilft: Spechtattrappen oder Metallplatten an den Hausecken.

Nicht nur Zierde, auch Fluch sind Nilgänse in Frankfurt am Main: Diese exotischen Ziervögel entkamen aus Zoos und Parks und verbreiten sich seit den 1970er-Jahren in Europa. Sie sind aggressiver und haben mehr Nachwuchs als andere Wasservögel, besonders die großen Kotmengen sind ein Ärgernis. Von der EU-Kommission wurde die Nilgans 2017 als »unerwünschte Tierart« klassifiziert. Die Autorin erkundet, wie sich die Stadt Frankfurt mit Hilfe eines Jägers wehrt und Nilgänse aus ihren Schwimmbädern vertreibt.

Nachdem man das Kapitel über andere eher unbeliebte Stadtbewohner gelesen hat –Stadttauben –, sieht man diese Tiere vielleicht mit anderen Augen und hegt gewisse Sympathien für sie. Aber die Autorin diskutiert auch die beiden Punkte, die bei Taubenhassern und Taubenschützern besonders umstritten sind: ob Tauben Krankheitserreger übertragen und wie man der zehn bis zwölf Kilogramm »Nasskot« (pro Taube pro Jahr) Herr wird.

In Güstrow macht sich Ring – vergeblich – auf die Suche nach der Haubenlerche, einer vom Aussterben bedrohten Vogelart. Denn in Mecklenburg-Vorpommern sowie in Brandenburg leben rund 80 Prozent der höchstens noch 2700 Brutpaare dieses einst sehr häufigen Vogels in Deutschland. In Güstrow trifft sie Angela Martin, die ihr mögliche Gründe für den dramatischen Rückgang der Haubenlerchen schildert. Insektenschwund? Fehlender Lebensraum? Aber Haubenlerchen können eigentlich gut in der Nähe von Menschen überleben. Was Katzenliebhaber nicht gerne hören: Verwilderte Hauskatzen kommen an erster Stelle als Ei- und Nestlingsräuber in Frage. Ring: »Frei laufende Hauskatzen stellen ein massives ökologisches Problem dar.« Rund 17 Millionen Hauskatzen und zirka 2 Millionen verwilderte Streuner töten in Deutschland jährlich mindestens 130 Millionen Vögel – nicht mitgezählt: durch spielende Katzen verletzte Küken oder Jungvögel. Das seien 1000-mal mehr getötete Vögel als durch Windräder.

Städte sind zwar keine Naturparadiese, bilden aber ein Mosaik aus vielen verschiedenen Landschaftsformen. Wir alle könnten dazu beitragen, »dass sich Tiere und Pflanzen auch in einem dicht besiedelten Umfeld wohlfühlen«, schreibt die Autorin zum »Ausklang« des Buches und gibt zahlreiche Tipps, wie man Vögel in der Stadt unterstützen kann.

Nicht nur naturinteressierte Leser werden an dem Buch Freude haben: eine Mischung aus Reportage und Nature Writing – mit persönlichen Begegnungen, kulturgeschichtlichen und wissenschaftlichen Informationen, dabei kurzweilig und unterhaltsam geschrieben. Caroline Ring steckt den Leser mit ihrer Vogelbegeisterung an und bietet neue Perspektiven.

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