»Warum wir träumen«: Nächtliche Wundertüte
»Ich kann mit absoluter Gewissheit sagen, dass sie unserem Gehirn entspringen, genauer gesagt, seiner elektrischen Aktivität«, schreibt Rahul Jandial über Träume. Dieser prosaische Ursprung macht sie für den US-amerikanischen Neurochirurgen jedoch nicht weniger faszinierend. Vielmehr ermögliche die Erforschung der »nächtlichen Dosis an Wundern« ein umfassenderes Verständnis von Bewusstsein, Kognition und Emotionen. Schließlich verbringen wir rund ein Zwölftel unseres Lebens im Traum: in jedem Jahr einen ganzen Monat.
In neun Kapiteln wagt der Autor einen Streifzug durch die aktuelle Traumforschung. Dabei geht das Buch weit über die gängigen Theorien zur evolutionären Bedeutung des REM-Schlafs hinaus. Die Leserinnen und Leser erfahren beispielsweise, warum Kinder mehr Albträume haben als Erwachsene und wie das mit der Entwicklung des Ichbewusstseins zusammenhängt. Sie lernen, aus welchem Grund der Partner oder die Partnerin oft keine Rolle in erotischen Träumen spielt und weshalb 97 Prozent aller Männer in den Fünfzigern, die ohne bekannte Ursache Dream-Enactment-Verhalten zeigen, also in ihren Bewegungen einen Traum nachspielen, binnen 14 Jahren nach dieser Diagnose an Parkinson erkranken. Elegant flicht Jandial die Beschreibungen wissenschaftlicher Studien und neurobiologisches Grundlagenwissen in den Text ein – gut verständlich für Laien und dabei nicht langatmig für Menschen mit Hintergrundwissen.
Albträume loswerden
Wohldosiert gibt das Buch auch praktische Tipps. Der Autor beschreibt etwa die »Imagery-Rehearsal-Therapie« als wirkungsvolle Strategie zum Umgang mit wiederkehrenden Albträumen sowie Wege, das luzide Träumen zu erlernen: einen Bewusstseinszustand, in dem man träumt und gleichzeitig weiß, dass man sich in einem Traum befindet. Jandial – selbst davon überzeugt, dass »Träume eine wichtige Quelle der Selbsterkenntnis sind« – liefert seinen Lesern und Leserinnen außerdem fünf Kategorien, die ihnen dabei helfen, die eigenen Träume zu interpretieren.
Da sie subjektive Erfahrungen sind, entziehen sich Träume in der Regel einer experimentellen Überprüfung. Entsprechend beruhen viele Inhalte des Buchs auf anekdotischen Berichten oder der Auswertung von Traumtagebüchern. Enthalten sind zudem zahlreiche Spekulationen: So sinniert Jandial darüber, ob die in kindlichen Träumen häufig präsenten Tierfiguren ein kognitives Erbe unserer Vorfahren sind und aus einer Zeit stammen, als Mensch und Wildtier nebeneinander lebten. In Anbetracht des oft ungesicherten Fundaments, auf dem die Traumforschung gründet, wären transparente Literaturangaben hilfreich gewesen – zumal auch nur einige der beschriebenen Experimente im Literaturverzeichnis aufgeführt sind. An anderer Stelle fehlen die Quellenangaben, etwa, wenn Jandial schreibt, dass »manche Wissenschaftler« der Frage nachgingen, ob ein Mangel an Träumen den Verlust kognitiver Fähigkeiten bei Alzheimerpatienten verschärft; oder wenn er schreibt, »die Forschung« habe festgestellt, dass geträumte Konflikte mit dem Partner am folgenden Tag meist tatsächliche Konflikte nach sich ziehen. Sprachlich wirkt das Buch teils ungelenk, was der Übersetzung geschuldet sein mag. Dennoch ist »Warum wir träumen« insgesamt eine hochspannende Lektüre, die faszinierende Einsichten vermittelt und Lust darauf macht, mehr Zeit mit Träumen zu verbringen.
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