Was das Leben ausmacht
Bei der Suche nach einer Definition des Lebendigen findet man je nach Quelle eine Aufzählung von fünf bis sieben Merkmalen. So muss ein Lebewesen aus Zellen aufgebaut sein, es muss wachsen, sich aus eigener Kraft bewegen, sich fortpflanzen und Reize aus der Umwelt aufnehmen können. Lebewesen haben außerdem einen eigenen Stoffwechsel – ein Merkmal, das sie von Viren unterscheidet, die deshalb konsequenterweise von den meisten Biologen nicht zu den Lebewesen gezählt werden. Eher schwammig ist die Forderung, Lebewesen müssten zur Selbstregulation fähig und einer Weiterentwicklung (Evolution) unterworfen sein.
Alte Frage in neuem Licht
All das beschreibt, was einen lebendigen Organismus von einem unbelebten Gegenstand unterscheidet. Es erklärt aber weder, was Lebewesen ausmacht, noch, wieso sie sein müssen, wie sie sind. Hinzu kommt, dass es zu fast jedem aufgelisteten Merkmal Ausnahmen gibt: So bewegen sich Pflanzen nicht – zumindest nicht vorwärts –, Bakterien wachsen nicht durch Größenzunahme, und die Definition eines eigenen Stoffwechsels verschwimmt bei einer parasitären Lebensweise. Ein komplexer Aufbau aus spezialisierten Einzelteilen, der ebenfalls manchmal gefordert wird, trifft lediglich auf höhere Lebewesen zu.
Kein Wunder, dass Sir Paul Nurse – britischer Genetiker, Zellbiologe und wie Schrödinger Nobelpreisträger – die bisherigen Antworten auf die Frage »Was ist Leben?« ziemlich unbefriedigend fand. In seinem Buch mit dem gleichnamigen Titel widmet er sich deshalb der Frage erneut, indem er fünf übergeordnete Konzepte herausarbeitet: »Die fünf Antworten der Biologie«, die seiner Meinung nach das Lebendige charakterisieren. Dabei greift er viele Aspekte der herkömmlichen Definitionen auf, betrachtet diese jedoch aus einem anderen Blickwinkel, wodurch sich spannende Einsichten auftun.
Schrödinger, der sich als Physiker vorrangig der Frage gewidmet hat, wie Organismen in einem Universum, das sich von der Ordnung zum Chaos entwickelt, ihre eigene Ordnung erhalten, sah die Antwort vor allem in den Genen und ihrer Vererbung von Generation zu Generation. Dies ist nachvollziehbar vor dem Hintergrund einer Zeit, in der die Genetik große Fortschritte erzielte. So hatten drei Jahre vor Erscheinung des Buchs George Wells Beadle und Edward Lawrie Tatum gezeigt, dass Gene Bauanleitungen für Proteine codieren, und im Erscheinungsjahr selbst stand fest, dass sie aus DNA bestehen. Nurse baut auf Schrödingers Ideen auf, geht aber darüber hinaus.
Der Genetiker widmet jedem seiner fünf Konzepte ein eigenes Kapitel. Den Anfang macht die Zelle, es folgen das Gen, Evolution durch natürliche Selektion, das Leben als Chemie und das Leben als Information. Ganz neu sind Nurses Ideen nicht, doch sie bringen das, was wir heute über das Leben wissen, auf neue Weise zu einem großen Ganzen zusammen. In seinem Ausblick geht der Autor auf aktuelle Entwicklungen ein, die das Leben, wie wir es kennen, entweder bedrohen (durch die Klimakrise oder Pandemien) oder zu seiner Rettung beitragen könnten (Gentechnik).
Nurse selbst hat sein Forscherleben lang den Zellzyklus erforscht und unter anderem die Cylin-abhängige Kinase cdc2 entdeckt. Für die Beschreibung dieses Hauptregulators des Zellzyklus wurde ihm 2001 der Nobelpreis für Medizin oder Physiologie verliehen. Anschaulich und dabei stets bescheiden gibt der Autor immer wieder Einblicke in sein eigenes erfolgreiches Forscherleben. So ist sein Buch auch ein wenig Forscherbiografie, was ihm seine Lebendigkeit verleiht.
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