Zufall oder nicht?
Im Grunde genommen hatte Niels Bohr, der Pate der Quantenphysik, keine Ahnung: Wo genau endet die Welt der großen Objekte, über welche die klassische newtonsche Physik herrscht? Und wo beginnt der Kosmos der kleinsten Objekte, der von der Quantenphysik regiert wird? In seinen Ausführungen dazu blieb Bohr immer vage. Und auch Werner Heisenberg, dem als Erstes eine vollständige Formulierung der Quantenphysik gelang, war nicht viel konkreter.
Spannend erzählte Wissenschaftsgeschichte
Bohrs und Heisenbergs Ansatz zur Quantenphysik, bekannt als Kopenhagener Deutung, war von Verschwommenheit nur so durchsetzt, schreibt der US-amerikanische Wissenschaftsautor Adam Becker in seinem Buch »Was ist real?«. Der größte Kritiker der Deutung war Albert Einstein. Er akzeptierte nicht, dass so vieles in der Natur zufällig geschieht und protestierte in einem Brief an Max Born mit seinem berühmten Satz »Gott würfelt nicht«. Mit Niels Bohr diskutierte Einstein ausgiebig auf der Solvay-Konferenz 1927 und versuchte einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden.
Doch schließlich setzte sich Bohr durch. Seitdem galt: Die Quantenphysik ist korrekt und die Kopenhagener Deutung die einzig richtige Interpretation. Bohr und Heisenberg genossen in der Physikergemeinde nahezu gottgleichen Status, so dass man sich lange Zeit kaum traute, ihre Thesen und Vorstellungen der Welt der Quanten anzuzweifeln.
Gut verständlich erzählt Adam Becker diese spannende Epoche des frühen 20. Jahrhunderts, in der sich die physikalische Welt auf den Kopf stellte. Plötzlich war man mit Phänomenen konfrontiert, die sich nicht mehr mit bisherigen Entdeckungen erklären ließen. Beckers Buch ist eine Art Geschichtsstunde zur Quantenphysik, von den Anfängen bis in die Gegenwart. Der Autor stellt die Protagonisten vor, erläutert ihre Beweggründe und streut zudem zahlreiche Anekdoten ein, die Einblick in das Leben und das kulturelle Umfeld der Wissenschaftler geben. Sie lockern die Erläuterungen zur Physik angenehm auf.
Über die Jahrzehnte verblasste jedoch der Einfluss von Bohr und Heisenberg. Man traute sich, eigene Gedanken zur Quantenphysik zu publizieren. Auf der Suche nach der Wahrheit verwarfen zum Beispiel John Bell, David Bohm oder Hugh Everett viele theoretische Annahmen aus den Anfangszeiten und entwickelten ihre eigenen Vorstellungen von dem, was real zu sein scheint.
Heute gehört die Quantenmechanik zu den am genauesten bestätigen Theorien. Einige ihrer Effekte haben eine Übereinstimmung zwischen Theorie und Experiment auf bis zu zwölf Dezimalstellen. Den steinigen und oftmals kontroversen Weg dorthin schildert Becker gut verständlich, manchmal mit Schwarz-Weiß-Abbildungen, aber ohne jegliche mathematischen Formeln.
Das aus dem Englischen übersetzte Buch ist detailliert recherchiert und flüssig geschrieben. Geschichte vermischt sich angenehm mit physikalischen Erläuterungen. Allerdings finden sich auch erstaunliche Rechtschreibfehler, gerade bei wichtigen Namen. Die Geschichte der Quantenphysik wurde schon häufig in zahllosen Büchern aufbereitet. Becker ist mit seinem Werk also nicht der Erste. Wer in die Materie neu einsteigen will, der ist bei der kompakten Lektüre gut aufgehoben; ist man allerdings schon mit dem Thema vertraut, wird man hier auf wenig Neues stoßen.
Am Ende des Buchs beendet Becker die Geschichts-Physik-Stunde vorzeitig und fragt, ob man aus der Entwicklung der Quantenphysik lernen kann, wie Wissenschaft funktioniert. Für ihn geht es nicht darum, etwas zu verifizieren oder um rein empirische Aussagen. Für Becker gehört zur Wissenschaft eine Kombination aus Experimenten, mathematischen und logischen Überlegungen, vereinheitlichen Erklärungen und Vorurteilen, die Forscher aus ihrem Leben und ihrer Kultur mitbringen. Seiner Meinung nach wird Wissenschaft nie komplett erfolgreich sein. Aber sie habe eine bessere Erfolgsbilanz als jede andere Methode, die wir gefunden haben, um etwas über die Welt um uns herum zu lernen.
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