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»Was macht das Quark im Apfelkuchen?«: Vom Urknall zum Apfelkuchen in nur 13,8 Milliarden Jahren

Ein beeindruckender und unterhaltsamer Abriss der Atom-, Kern-, Astro- und Teilchenphysik, getrieben von der Suche nach dem ultimativen Rezept für Apfelkuchen. Eine Rezension.
Künstlerische Darstellung des Urknalls

Viele Bücher über Astro- oder Teilchenphysik neigen zu einem gezierten, bedeutungsschweren Ton, schließlich befasst sich das Forschungsfeld mit nichts Geringerem als der Geburt des Universums und dem Ursprung allen Lebens. Doch nicht so Harry Cliff. Der Teilchenphysiker der University of Cambridge und vom CERN wählt für sein Buch einen erfrischend bodenständigen Ansatz: die Suche nach dem ultimativen Rezept für Apfelkuchen. In »Was macht das Quark im Apfelkuchen?« stellt er Frage: Wie backt man einen Apfelkuchen aus dem Nichts?

Einen Apfelkuchen in seine Bestandteile verdampfen

Inspiriert wurde Cliff von Carl Sagan, der in seiner TV-Serie »Unser Kosmos« sagte: »Möchte man aus dem Nichts einen Apfelkuchen machen, muss man erst das Universum erfinden.« Um dieses Rätsel zu entschlüsseln, beginnt Cliff sein Buch mit dem liebreizenden und (bewusst) einfältigen Experiment, einen Apfelkuchen im Schuppen seiner Eltern in seine Bestandteile zu verdampfen.

Von Kapitel zu Kapitel stellt Cliff die Linse, durch die er die Welt betrachtet, schärfer. Er beginnt mit den Elementen, identifiziert einzelne Atome, zerlegt diese in ihre Bestandteile und endet beim Standardmodell, dem Higgs-Feld und Spekulationen über die noch fehlenden Puzzleteile des Universums. Gleichzeitig bewegt er sich grob chronologisch durch die Meilensteine der Physik. Er beginnt vor Tausenden von Jahren mit der Vier-Elemente-Lehre (Erde, Wasser, Luft und Feuer) der alten Griechen und endet mit einem unterhaltsamen, selbst erdachten Sciencefiction-Einschub über die Pressekonferenz der Galaktischen Organisation für Teilchenphysik anlässlich der Eröffnung des Impossibly Large Hadron Collider im Jahr 843 Millionen. So gelingt Cliff ein beeindruckender physikalischer und historischer Abriss der Atom-, Kern-, Astro- und Teilchenphysik auf gerade einmal 400 Seiten.

Dabei räumt er dem eigentlichen Forschungsprozess sehr viel Platz ein. Statt sich auf die emotionslose Auflistung von Ergebnissen zu beschränken, begleiten wir Wissenschaftler auf ihrer Entdeckungsreise. Wir dürfen bei Ernest Rutherfords Suche nach der Struktur des Atomkerns mitfiebern oder George Gamow in seinem Kampf um die Urknalltheorie anfeuern. Der historische Abriss verdeutlicht außerdem die manchmal überraschenden Rahmenbedingungen, unter denen Forschungsergebnisse erlangt wurden. Zum Beispiel entschlüsselte Rutherford die Struktur des Atoms (als eine Art Miniatur-Sonnensystem) mit beeindruckend simplen Experimenten und erst gut fünf Jahre nachdem Planck und Einstein die Quantenmechanik begründeten. Außerdem löst sich Cliff vom romantisierten Bild von Wissenschaftlern. Er berichtet aus dem historischen und modernen Forschungsalltag und zeigt auf, dass wissenschaftlicher Fortschritt häufig Resultat eines sturen Egos oder harten Konkurrenzkampfs ist.

Besonders hervorzuheben ist Cliffs lebhafter Schreibstil. Wegen der persönlichen Anekdoten, lockeren Interviews und historischen Erzählungen vergisst man streckenweise, dass man es mit einem wissenschaftlichen Werk und nicht etwa mit Belletristik zu tun hat. Außerdem schlägt Cliff gekonnt einen witzigen Ton an, ohne dabei (wie zahlreiche andere populärwissenschaftliche Bücher) aufgesetzt oder kitschig zu klingen. So bezeichnet er Kohlenstoff als »David Bowie des Periodensystems« und vergleicht die Kollisionsexperimente in einem Teilchenbeschleuniger mit einer Stange Dynamik in einer Dose griechischer Buchstabensuppe.

Auf diese Weise kann er das Niveau kontinuierlich anheben, ohne zu überfordern. Wenn er sich der Teilchenphysik zuwendet, schreckt er nicht davor zurück, Leserinnen und Leser mit gehobenen Konzepten wie der Quantenfeldtheorie, Symmetriegruppen und elektroschwacher Baryogenese herauszufordern. Aber dank kurzer Wiederholungen wichtiger Fakten und gelungener Metaphern schafft er es, den Spannungsbogen aufrechtzuerhalten und komplizierte Konzepte anschaulich zu erklären.

Einziger Kritikpunkt sind die zu spärlich eingesetzten Abbildungen. Erst im letzten Drittel des Buchs werden etwa eine Hand voll einfache, doch hilfreiche Skizzen eingesetzt, die bereits in früheren Kapiteln, zum Beispiel zur Erläuterung der Symmetriegruppen, hilfreich gewesen wären.

Insgesamt ist es Cliff gelungen, seine Faszination für die Teilchenphysik auf Papier zu bringen und sie in eine kohärente Geschichte mit vielen kleinen, fesselnden Episoden zu verpacken. Das Thema Apfelkuchen zieht sich durch das gesamte Buch und findet seinen krönenden Abschluss in einem tatsächlichen Rezept – vom Urknall bis zum heißen Stück Kuchen mit Vanilleeis in nur 13,8 Milliarden Jahren. Guten Appetit!

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