»Was wäre, wenn …«: Klimatipps für Warmduscher
»Dieses Buch muss man nicht ernst nehmen«, schreibt Esther Gonstalla gleich zu Beginn. Vielleicht wählt die Autorin diesen Einstieg, weil Gedanken zu ernsten Themen wie Klima, Wasserverbrauch und Umweltschutz oder der Frage, wie unsere Zukunft lebenswert bleiben könnte, schnell als moralische Appelle abgetan werden könnten. Tatsächlich scheint bereits ihr erstes »Was wäre, wenn …«-Szenario in diese Richtung zu gehen: Was wäre, wenn man jedes Mal vorher überlegte, bevor man zum Kühlschrank geht? Die Auflösung der Frage zeigt, dass dieses Buch eher mit dem Überraschungsmoment denn mit pädagogischen Elementen arbeitet: Durchschnittlich zehn Stunden pro Jahr stehen wir vor einem offenen Kühlschrank und schauen suchend hinein. Mit der dafür eingesetzten Energie könne man jede Woche einmal die Waschmaschine laufen lassen, erklärt Gonstalla knapp und illustriert diese Feststellung grafisch.
Als Grafikdesignerin hat die Autorin hat schon einige Erklärbücher zu Umweltthemen geschrieben und gestaltet, etwa »Das Eisbuch«, »Atlas eines bedrohten Planeten« oder »Das Ozeanbuch« – alle eher großformatig. Ihr jüngstes Werk ist dagegen eher klein geraten und passt in jede Hand- oder eine großzügige Jackentasche. Man kann es also auch gut auf Partys mitnehmen und dafür sorgen, dass am WG-Tisch oder den Stammtischen der Republik anders über Klima und Umwelt geredet wird – das wünscht sich jedenfalls die Autorin.
Schäferhund oder Dackel?
Immer eine »Was wäre, wenn …«-Frage für eine Doppelseite, zwei Grafiken und ganz wenig Text: So ist das Buch strukturiert. Nach diesem Prinzip illustriert Gonstalla etwa, was passieren würde, wenn Bienen für das Einsammeln von Honig den Mindestlohn bekämen, die Landwirtschaft umgestaltet würde, Menschen weniger Klamotten kauften, es mehr vertikale Gärten gäbe oder der Schäferhund ein Dackel wäre. Immer lustig schildert sie die Auswirkungen von Tiefkühlpommes, Kryptogeld oder des Auto- und Flugverkehrs aufs Klima – Erkenntnisse, die sich mal mehr, mal weniger für das Gespräch bei Prosecco und Schnittchen eignen.
Nur ganz selten geraten ihre Darstellungen etwas schief, obwohl sie sich dabei korrekt auf wissenschaftliche Quellen stützt, die sie im Anhang anführt. Denn auch wenn jährlich zwei Millionen Haushalte zu Ökostrom wechseln würden, könnte dadurch nicht jedes Jahr ein Kohlekraftwerk abgeschaltet werden; und auch wenn die Industrie ihre eigene grüne Energie herstellte, könnten wir deshalb noch nicht auf alle fossilen Kraftwerke verzichten. Zwar erklärt Gonstalla in ihren kurzen Texten die jeweils mögliche Einsparung an Kohlendioxid und den Stromverbrauch. Doch das reicht in diesem Fall als Erläuterung nicht aus, denn bei einer Umstellung der Energieerzeugung müsste auch gewährleistet sein, dass die Stromversorgung Grund- und Spitzenlast abdeckt. Aber vielleicht setzt die Autorin solche provokant einfach formulierten Zusammenhänge bewusst ein, um zum Nachdenken anzuregen. Dazu angetan sind sicher auch die Seiten zu den Haustieren, die ebenso wie Menschen einiges an Kohlendioxid erzeugen; ein Schäferhund etwa mehr als doppelt so viel wie ein Dackel. Der Tipp der Autorin an Warmduscher: das gebrauchte Wasser auffangen und für den Garten oder die Klospülung verwenden. Wie das gelingen kann, muss dann wohl die Diskussionsrunde am WG-Tisch austüfteln.
Die Botschaften dieses Buchs sind beileibe nicht nur beängstigend. Geradezu schön ist etwa Gonstallas Grafik zu den Jobs der Zukunft. Auch wenn die Angst umgehe, dass es ohne fossile Wirtschaft weniger Jobs gäbe, so wären in Wirklichkeit bald weitere 250 000 zusätzliche Handwerkerinnen und Handwerker sowie insgesamt 35 Prozent mehr Fachkräfte nötig. Wenn sie auf einer Doppelseite eine Weltkarte präsentiert und dabei Länder mit Tempolimits gelb markiert, bleibt hier nur ein einziger Fleck dunkelrot: Es sei allein Deutschland, in dem ein solche Begrenzung aktuell undenkbar sei, schreibt Gonstalla.
Als Partywissen taugt wiederum der letzte Hinweis: Was wäre, wenn wir Bienen einen Mindestlohn zahlen würden? Dann müsste ein Glas Honig 310 000 Euro kosten, denn rund 2500 Bienen müssten – legt man die notwendige Strecke zugrunde – zwei Mal um den Globus fliegen, um den dafür notwendigen Nektar zu sammeln. Doch gerade die Bienen sind darauf angewiesen, dass Erkenntnisse wie die in diesem Buch präsentierten nicht nur zum Schmunzeln dienen. Denn zwei Seiten zuvor macht Gonstalla klar: Wer sich beim Klimawandel mehr Bikiniwetter, Erdbeeren schon im April und mehr Kitesurfen erträume, solle sich realistischerweise lieber mehr auf mehr Hitzetote, erfrorene Apfelblüten und verregnetes Ekelwetter einrichten. Unter diesen Bedingungen dürften Bienen in Zukunft sicher kaum mehr in gewohnter Weise Nektar sammeln können – fiktiver Mindestlohn hin oder her.
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