Unterschätztes Lebenselixier
Dieter Gerten, Professor für Klimasystem und Wasserhaushalt im Globalen Wandel, nimmt sich eines großen Themas an: der globalen Wasserkrise. Er beleuchtet aus naturwissenschaftlicher Perspektive die weltweiten Wasservorkommen, zeigt die Begrenztheit dieser Ressource auf, umreißt die menschliche Nutzung des Wassers und stellt dar, was unter "Wasserknappheit" zu verstehen ist. Vor dem Hintergrund des Klimawandels wagt er einen Blick in die Zukunft und zeigt mögliche Wege auf, wie sich der Wasserverbrauch eindämmen und generell bedachter mit der lebensnotwendigen Substanz umgehen lässt.
Viele werden vermuten, dass dies angesichts des facettenreichen und äußerst umfassenden Themas kaum auf 167 Seiten Text möglich ist. Tatsächlich hat Gerten aber ein sehr lesenswertes Buch vorgelegt, das weniger mit einfachen Antworten aufwartet als vielmehr immer wieder deutlich macht, wie viel differenzierter die Problematik ist, als es auf den ersten Blick scheint.
Blaues, grünes und virtuelles Wasser
Zunächst aber legt der Autor wichtige fachliche Grundlagen. Er gibt eine kurze und gut nachvollziehbare Übersicht über den irdischen Wasserkreislauf, erörtert die Verfügbarkeit dieser Ressource und klärt vor allem wichtige Begrifflichkeiten, die man für eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema kennen muss. Dazu gehört der Unterschied zwischen "blauem" und "grünem" Wasser, also das in Flüssen, Seen, Grundwasserspeichern oder Talsperren vorhandene beziehungsweise das in den Boden eingedrungene. Auch der Begriff des "virtuellen" Wassers gehört dazu – dahinter verbirgt sich jene Wassermenge, die in die Herstellung eines Produkts eingeflossen ist. Für den morgendlichen Kaffee sind zum Beispiel nicht nur die paar Deziliter nötig, die aufgebrüht werden, sondern auch jene Wassermengen, mit denen die Kaffeepflanze bewässert wurde. Infolgedessen stecken in einer Tasse Kaffee ungefähr 140 Liter Wasser! Vor diesem Hintergrund kann es kaum verwundern, dass längst ein globaler Handel mit "virtuellem" Wasser floriert, wie das Buch eindrucksvoll deutlich macht.
Es wäre ein Leichtes, hier zu moralisieren und etwa die mit hohem Wassereinsatz herstellten Erdbeeren aus Spanien anzuprangern oder die aus noch ferneren Weltgegenden angelieferten Avocados. Das macht der Autor dankenswerterweise nicht, sondern überrascht mit der Überlegung, inwiefern ein globaler Wasserhandel sogar hilfreich wäre. Auch macht er deutlich, dass selbst beim virtuellen Wassergehalt eine weitere Differenzierung nötig ist. So verstecken sich in einem Kilogramm Weizen aus den Niederlanden 619 Liter Wasser – ein in Italien produziertes Kilogramm hat hingegen 2421 Liter "verschlungen"! Mittels solcher Betrachtungen regt der Autor vor allem zum Weiterdenken an, statt einfache Lösungsrezepte anzubieten.
Interessant ist der Band auch wegen seiner Darstellung einer "kurzen Weltgeschichte" der Wassernutzung sowie wegen seines Ausblicks in die prognostizierte ökologische Zukunft, für den der Autor die zu Grunde liegenden Computermodelle erklärt und zeigt, mit welchen Unsicherheiten sie verbunden sind. Für ein primär aus naturwissenschaftlicher Perspektive geschriebenes Buch ist es weiterhin überraschend, dass sich der Autor zum Ende hin mit religiösen und ethischen Aspekten des Wassers befasst. Das Werk gewinnt hierdurch zusätzlich, da es die Leser einmal mehr dazu einlädt, eine neue Perspektive einzunehmen. Unter anderem hinterfragt Gerten den Begriff der "Ressource", der aus westlicher Sicht ganz selbstverständlich erscheint. Aber ist dies nicht ein verkürztes, utilitaristisches Verständnis, das sich auf eine technisch-ökonomisch-mathematisch-optimierte Sichtweise beschränkt?
Gertens Buch ist in jedem Fall lesenswert und eröffnet neue Perspektiven, ohne mit der ökologisch-moralischen Keule daherzukommen. Auch seine letzte Stellungnahme ist sehr treffend: "Von Kohle und Öl wird früher oder später keine Rede mehr sein. Aber die Frage, wie man an das lebensnotwendige, durch nichts ersetzbare Wasser kommt, wird die Menschheit bis an ihr Ende begleiten." Angesichts des heutigen Weltwassertags vielleicht eine Frage, über die es sich nachzudenken und nachzulesen lohnt?
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