Faszination Mikrokosmos
Bakterien sind Winzlinge, in denen sich Lebensprozesse atemberaubend schnell abspielen. Manche wie das Darmbakterium Eschericheria coli können sich alle 20 Minuten teilen. So wäre es denkbar, dass man mit einer Billion darmbesiedelnden E.-coli-Zellen ins Kino geht und 80 Minuten später mit 16 Billionen den Heimweg antritt.
Warum die Kleinstlebewesen derartige Stoffwechsel-Höchstleistungen erbringen, lässt sich am besten an einem Beispiel verdeutlichen. Gibt man ein Stück Würfelzucker in eine Tasse Tee, und das gleiche Gewicht an Puderzucker in eine zweite Tasse, kann man beobachten, dass sich der Puderzucker viel schneller auflöst. Verantwortlich dafür ist das Verhältnis von Oberfläche zu Volumen. Beim Würfelzucker mit einer Kantenlänge von einem Zentimeter beträgt es 6:1, da hinter seinen sechs Seitenflächen von je einem Quadratzentimeter ein Volumen von einem Kubikzentimeter steckt. Ganz anders bei zerkleinertem Zucker: Zerriebe man den Würfel in winzige Quader mit einer Kantenlänge von je einem Mikrometer, erhielte man eine Billion von ihnen. Zusammen hätten sie immer noch ein Volumen von einem Kubikzentimeter, aber eine Oberfläche von 60 000 Quadratzentimetern – was ein Verhältnis von 60 000:1 ergibt.
Je kleiner, desto flinker
Genau das ist ein wesentliches Merkmal der Bakterien. Im Verhältnis zu ihrem Rauminhalt haben sie eine weit größere Oberfläche als Zellen höherer Organismen und stehen daher in erheblich intensiverem Stoffaustausch mit ihrer Umgebung. So können sie beispielsweise neue Zellbestandteile extrem schnell produzieren, und das macht sie zu den Lebewesen mit der höchsten Vermehrungsrate.
Mit vorliegendem Lehrbuch möchte der Mikrobiologe Gerhard Gottschalk in die Welt der Bakterien, Archaeen und Viren einführen. Er richtet sich sowohl an interessierte Fachfremde als auch an Leser mit Fachkenntnissen. Daher gliedern sich die zwölf Teile seines Werks in je zwei Abschnitte: "Lektüre" und "Studium". Während der erste eine leicht zu lesende Einführung gibt und Zusammenhänge erklärt, vermittelt der zweite detailliertes Wissen. Hier geht es um Stammbäume und Evolution der Mikroben, ihren Stoffwechsel, die von ihnen hervorgerufenen Krankheiten, über Anwendungen in der Biotechnologie und mikrobielle Genomforschung. Als Leser hat man immer die Möglichkeit, es bei der Lektüre des einführenden Teils zu belassen oder anhand des "Studiums" tiefer einzutauchen.
Das flüssig zu lesende Lehrbuch ist aus dem Werk "Welt der Bakterien" hervorgegangen, welches der Autor 2009 veröffentlichte. Vielleicht ist das der Grund, warum Viren recht kurz kommen. Gerade einmal zwölf Seiten widmet Gottschalk den infektiösen Partikeln. Dabei gibt es viel mehr über sie zu berichten, vor allem in einem Band wie diesem, der entsprechende Informationen im Titel verspricht.
So angenehm wie im Schnellkochtopf
Eine Besonderheit des Werks liegt darin, dass der Text nicht in Unterkapitel gegliedert ist, sondern sich aus Fragen und Antworten zusammensetzt, als stünde der Leser in Dialog mit dem Autor. Das macht das Buch sehr lebendig und die Themen besser greifbar. Hierzu tragen zahlreiche Beiträge renommierter Experten bei. Der Mikrobiologe Karl Stetter beispielsweise beschreibt, wie er 1984 erstmals nachwies, dass Leben sogar in siedend heißem Wasser möglich ist. Während eines Familienurlaubs tauchte er zu den Meeresgründen nahe der Insel Vulcano bei Sizilien hinab, um Wasser- und Sedimentproben zu entnehmen. Daraus isolierte er später Pyrodictium occultum, ein ungewöhnliches Archaeon, das bei 110 Grad Celsius gedeiht.
Gottschalk präsentiert mit dem Band ein außergewöhnliches Lehrbuch, das einen spannenden Einblick in die Welt der Mikroben gewährt. Es empfiehlt sich dringend als Begleitwerk zu einführenden Mikrobiologie-Vorlesungen, lässt sich aber auch von interessierten Laien mit Gewinn lesen.
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