Prosa aus der Psychiatrie
Benjamin Maack ist Journalist und Schriftsteller. Er arbeitet für »Spiegel Online« und hat bislang Kurzgeschichten- und Gedichtbände veröffentlicht. Sein 2020 erschienenes, viertes Buch ist anders: Es ist autobiografisch. Der 42-Jährige leidet an schweren wiederkehrenden Depressionen. Aus Notizen, die er während seines zweiten Psychiatrieaufenthalts anfertigte, entstand dieses Werk, das der NDR auch als Hörspiel produziert hat. In jedem der mehr als 200 Einträge schildert er einen Tag in dieser Zeit. Manchmal sind es einzelne Szenen, manchmal nur ein Satz.
Zwischen Delfinpuzzles, Leere und Selbsthass
Er probiert in der Klinik Medikamente aus, setzt mit seinen Mitpatienten Delfinpuzzles zusammen, stickt ein Britney-Spears-Kissen und verbringt eine Nacht auf der Geschlossenen. Doch das ist keine erbauliche Psychiatriekomödie mit Til Schweiger, Florian David Fitz und Matthias Schweighöfer, in der am Ende alle gemeinsam aus der Anstalt abhauen und ans Meer fahren, wie Maack zu Beginn warnt. Es geht um Schmerz und Selbsthass, endlose Leere, den Wunsch, zu sterben, und die Angst, der eigenen Familie zur Last zu fallen.
»Ist man gesund, kann man sich nicht mehr daran erinnern, wie es war, krank zu sein. Und ist man krank, kann man sich nicht vorstellen, je wieder gesund zu sein«Manchmal lähmt eine Depression das Denken so sehr, dass sogar der Zugang zur Sprache verloren geht. Wenn das passiert, bringt Maack statt Worten nur noch Platzhalter heraus: »Meine Muskeln angespannt, mein Blick stochert in der Dunkelheit, als wären die Schrecken da draußen. Wie fremd ich der Welt geworden bin, wie fremd ich mir selbst bin. Wie ich niemand mehr bin. Nichts. Nicht mal -----. Ein –.« Die Textform der Tagebucheinträge ermöglicht solche Momentaufnahmen und unterstreicht darüber hinaus die Zerstückelung der Wahrnehmung durch die Krankheit.
Benjamin Maack
Aber Depressionen sind nicht nur quälend, sie sind auch tückisch. »Ist man gesund, kann man sich nicht mehr daran erinnern, wie es war, krank zu sein. Und ist man krank, kann man sich nicht vorstellen, je wieder gesund zu sein«, so Maack. Gut, dass es ihm so vortrefflich gelingt, ein eigentlich unbeschreibliches Gefühl in Worte zu fassen. Das Buch ist brillant geschrieben, gnadenlos ehrlich und trotz seiner Tragik so geistreich und humorvoll, dass man den Autor nur sympathisch finden kann. Es erinnert an Wolfgang Herrndorfs Tagebuch »Arbeit und Struktur«. Darin dokumentierte der Autor von Romanen wie »Tschick« die Zeit zwischen seiner Hirntumor-Diagnose und seinem Suizid dreieinhalb Jahre später. Das ist traurig und beklemmend, zeugt aber immer wieder vom bemerkenswerten Charakter Herrndorfs. »Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein« ist ebenfalls weder Wohlfühlliteratur noch Handbuch für Betroffene. Es zeigt jedoch eindrücklich, wie wertvoll es ist, wenn Menschen mit der Gabe, existenzielle Erfahrungen auszudrücken, ihr Innenleben zu Papier bringen.
Hörspiel »Wenn das noch geht, kann es nicht so schlimm sein« zum Buch
NDR, 2020, 96 Minuten, ndr.de/radiokunst
Audiodatei kostenfrei verfügbar bis 04.03.2021
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