Die Welt auf 13 Hektar
Im vorliegenden Werk widmet sich Dave Goulson der größten Tierklasse der Erde: den Insekten. Und wo lässt sich dieser Artenreichtum besser studieren als auf dem eigenen, 13 Hektar großen Grundstück? Genau dorthin führt der Entomologe seine Leser: nach Charente in Frankreich.
Auf 320 Seiten spaziert Goulson durch seinen Besitz, den er vor knapp 17 Jahren erwarb – vorbei an Tümpeln und Kastanienbäumen, hinweg über Wiesen und auch hinein ins alte, marode Holzhaus "Chez Nauche". Als fiktive Begleiter oder Joggingpartner des Autors – jedes Kapitel eröffnet mit einem Jogging-Tagebucheintrag – lernen seine Leser nicht nur viel über die Fauna und Flora Frankreichs. Sie reisen gemeinsam mit dem Forscher auch in die Vergangenheit: sowohl in die jüngere, wenn der Autor etwa über seine Forschungsarbeiten bezüglich des Paarungsverhaltens des Nagekäfers berichtet. Aber auch in die ältere, in der der kleine Goulson stets Pech damit hatte, Amphibien zu erkunden.
Unglück auf Unglück
Der Axolotl (Ambystoma mexicanum) beispielsweise, den der Autor im Kindesalter beobachten wollte, wurde von seinen Mitbewohnern, den Rotwangen-Schmuckschildkröten, verspeist. Nicht viel besser lief es mit den Schmuck-Hornfröschen (Ceratophrys), die dem Kannibalismus frönten. Und dann war da noch der Korallenfinger-Laubfrosch (Litoria caerulea), der aufgrund mangelnder Kalziumzufuhr eine Rachitis entwickelte. Diese kleinen Geschichten sind in dem Buch ein wichtiges stilistisches Mittel, denn sie führen gelungen in die jeweils behandelten wissenschaftlichen Themen ein.
Noch heute ist Goulsons Verhältnis zu Amphibien getrübt. Der Ort, den er auf seinem Grundstück als Bauschuttstelle auswählte, diente Lurchen zum Brüten, wie der Autor später entsetzt feststellte. Plastisch erzählt er von seinem schlechtem Gewissen und den verzweifelten Versuchen, das Habitat jener Tiere doch noch zu retten. Das ist bei aller Traurigkeit auch irgendwo komisch und geht stets mit einem beseelten Duktus einher. Schließlich berichtet Goulson von dem schwierigen und laienhaften Versuch, sein Haus instand zu setzen, den er zusammen mit zwölf Studenten unternahm. Er bezahlte sie mit Wein und Käse, was in manch bizarre Situation mündete.
Mit Schwingelgras und Jakobs-Greiskraut
Zwischen all diese unterhaltsamen Erzählungen streut der Autor faszinierende (Er)Kenntnisse rund um Insekten und Pflanzen ein. Unter anderem beschreibt er ein Langzeitexperiment, das darauf abzielt, dominante Gräser durch seltenere, heimische Pflanzen wie Schwingelgras und Jakobs-Greiskraut zu ersetzen. Gelingen soll das mit hemi-parasitären Gewächsen wie Klappertöpfen (Rhinantus) und Augentrost (Euphrasia), die die ungewünschten Graswurzeln anzapfen und ihnen die Nährstoffe entziehen sollen. Das Experiment läuft noch und der Ausgang ist ungewiss – zumindest aber bietet die so behandelte Wiese schon mal einen sehr schönen Anblick.
Einmal in den Sog des Buchs geraten, ist man gar nicht mehr sicher, wer darin eigentlich die Hauptrolle spielt. Die Tiere, die Pflanzen oder Goulson selbst? Genau das macht den Reiz des Werks aus: Es ist eine raffinierte Symbiose aus Sachbuch und Roman. Die Fakten und das Hintergrundwissen sind für Laien verständlich formuliert, stets gut dosiert und oft auch alltagsrelevant aufbereitet. So erläutert der Autor, warum Insektizide kaum taugen, um Fliegenplagen in Hühner-Legebatterien zu bekämpfen: Die meisten sind schlicht zu giftig, die übrigen auf Grund von Resistenzen bei den Kerbtieren wirkungslos. Tiefer geht der Forscher in den zahlreichen Fußnoten, die historisches und wissenschaftliches Zusatzmaterial beinhalten.
Für Irritation sorgt der erste optische Eindruck: Der Band enthält keine einzige Illustration. Dieser vermeintliche Nach- entpuppt sich beim Lesen allerdings als Vorteil, denn er unterstützt den Romancharakter. Durch die lebendigen Schilderungen des Autors entsteht ein sehr intensives "Kopfkino" vor dem inneren Auge. Ein lohnendes, aufschlussreiches und erholsames Buch.
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