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Buchkritik zu »Wenn Mumien erzählen«

Ohne Zweifel ist das interessanteste neue Forschungsfeld (der Ägyptologie) die Paläopathologie, bei der die ausgeklügeltsten Verfahren der Medizin und der Biologie zum Einsatz kommen. Auf diese Weise gelingt es, immer neue Geheimnisse der uralten ägyptischen Mumien zu lüften. Als Initiatorin des Mumienprojektes von Manchester hatte ich das Glück, bei der Etablierung dieses neuen Forschungsfeldes eine entscheidende Rolle zu spielen." So beschreibt die britische Ägyptologin Rosalie David ihre Arbeit. Und ihr Buch ist tatsächlich eine überaus spannende Reise durch die Entwicklung einer vergleichsweise jungen Wissenschaftssparte. Zwar hatte schon um 1900 der englische Anatom Sir Marc Armand Ruffer zahlreiche Mumien und Skelette in Ägypten erstmalig auf wissenschaftlichem Niveau untersucht. Dann aber verfiel die Paläopathologie, aus Mangel an technischen Untersuchungsmöglichkeiten und – infolgedessen – öffentlichem Interesse, für mehrere Jahrzehnte in einen Dornröschenschlaf, aus dem sie erst in den siebziger und achtziger Jahren wieder erwachte. Mehrere Mumienprojekte in den USA, Kanada und nicht zuletzt unter Rosalie Davids Leitung in Manchester haben zu ganz wesentlichen neuen Erkenntnissen über das Leben und Leiden der alten Ägypter geführt. Neue technische Untersuchungsmethoden liefern eine Fülle zusätzlicher Informationen. Das Buch lässt den Leser die Spannung spüren, welche die Untersucher bei der ersten Anwendung von Computer-Tomografie und flexibler Endoskopie auf Mumien empfanden. Im Lichte der neuen Erkenntnisse erscheint das Leben der alten Ägypter von allerlei Plagen beeinträchtigt. Abgeschliffene Zähne mit zahlreichen eitrigen Zahnabszessen, Befall durch Parasiten, alte Verletzungsfolgen und Abnutzung von Gelenken und der Wirbelsäule durch schwere körperliche Arbeit wurden sichtbar, und das, obwohl die Daten an insgesamt nur wenigen Dutzend Mumien erhoben werden konnten, die in europäischen und nordamerikanischen Museen und Universitätsinstituten ihrer wissenschaftlichen Untersuchung entgegenschlummerten. Die Untersuchung von Mumien und Mumienresten in Ägypten selbst könnte noch weit mehr zur Klärung offener Fragen beitragen, ein Aspekt, der in diesem ansonsten so brillanten Buch unberührt bleibt. Rosalie David und der Wissenschaftsjournalist Rick Archbold machen in diesem Buch auch deutlich, dass die Fortentwicklung der Mumienforschung längst nicht abgeschlossen ist. Immer bessere Geräte zur nicht-invasiven Untersuchung von Mumien, wie Spiral-CT und hochauflösende bildgebende Verfahren, histologische und molekularbiologische Unter-suchungen, vor allem von alter DNA aus Knochen und Mumiengewebe, lassen noch wesentlich mehr und detailliertere Informationen erwarten. So gesehen kann das vorliegende Buch nur einen "Zwischenbericht" über die ersten rund hundert Jahre Mumienforschung geben. Neben einer Fülle von wissenschaftlichen Informationen – und einigen Anekdoten aus ihrer Arbeit – stellen Rosalie David und Rick Archbold in einführenden Kapiteln Bedeutung und Praxis der Mumifizierung im alten Ägypten ausführlich und umfassend dar. Dadurch gewinnt auch der Unkundige rasch Einblick in die Beweggründe und Hintergründe dieses für uns ungewohnten Umgangs mit Toten. In fiktiven Zwiegesprächen mit antiken Persönlichkeiten werden wichtige Einzelaspekte aufgegriffen und vertieft. Schließlich lebt dieses Buch nicht unerheblich von seiner hervorragenden und anschaulichen Bebilderung. Insgesamt ein äußerst gelungenes und sehr lesenswertes Werk. Dass ihm in Zukunft weitere, wichtige Kapitel hinzuzufügen sein werden, kann heute seine Qualität nicht beeinträchtigen.
  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 03/2002

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