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Erde am Abgrund

Harald Lesch und Klaus Kamphausen mahnen den Zustand des Blauen Planeten an. Sie schlagen Lösungen vor, wie wir ihn lebenswert erhalten.

Es ist kein gutes Bild, dass der Astrophysiker Harald Lesch und der Theaterwissenschaftler und Psychologe Klaus Kamphausen in ihrem Buch vom Homo sapiens zeichnen, dem »vernünftigen Menschen«, der immerhin schon seit knapp 200 000 Jahren die Erde bevölkert. Demnach gehen wir seit rund 150 Jahren, also mit fortschreitender Industrialisierung, ziemlich zielstrebig auf den Abgrund zu. Lesch und Kamphausen zeigen in ihrem Buch die drängendsten Probleme der Menschheit auf. Sie erklären die Faktenlage etwa zur Erderwärmung und haben Experten zu Ökologie, nachhaltiger Ökonomie oder Stadtplanung interviewt; diese Gespräche präsentieren sie über große Teile des Buchs. Dazwischen finden sich immer wieder lange Einschübe, in denen die Autoren Umweltorganisationen wie »atmosfair« oder den WWF vorstellen oder in denen sie von der Weltgemeinschaft gefasste Beschlüsse wie das Pariser Klimaabkommen oder die Erd-Charta beleuchten. Unter diesen ausführlichen Einfügungen leidet allerdings der Lesefluss, da man sich mitten im Text mit oft seitenlangen Exkursen beschäftigen muss.

Der erste Teil des Buchs nimmt vor allem eine Bestandsaufnahme unseres Planeten vor. Neue Informationen enthält er eher nicht. Vielmehr machen Lesch und Kamphausen einmal mehr klar, wie dringend es geboten ist, einen Wandel in unserem Lebensstil herbeizuführen. Dabei sprechen sie ihre Leser auch direkt an, etwa wenn sie ihnen raten, Geld, das in zinslosen Anlageformen nutzlos herumliegt, in Umweltprojekte zu investieren.

Strom aus der Wüste

Später befassen sich die Autoren damit, welche Lösungsansätze es für die derzeitigen ökologischen Probleme gibt. Ihrer Meinung nach ist es unbedingt notwendig, dass Regierungen, die Industrie, aber auch jeder einzelne Mensch sein Handeln reflektiert und ökologisch weitaus bewusster lebt als bisher. Spannend wird es, wenn Lesch und Kamphausen konkrete Projekte vorstellen – etwa, regelbaren Solarstrom aus sonnenreichen Wüsten in Nordafrika nach Europa zu transportieren. Hierzu stellt ein Experte vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt im Interview dar, wie regelbarer Solarstrom aus der Wüste, beispielsweise aus Marokko, uns mit Energie versorgen könnte. Das Szenario der so genannten »Solar Electricity Pipelines« klingt erst einmal faszinierend. Der Strom kommt aus der nördlichen Sahara, aus einem politisch stabilen Land, bis Neckarwestheim zum bereits abgeschalteten Atomkraftwerk. Die Infrastruktur des Atomkraftwerks wird genutzt um, den transportierten, gleichgerichteten und auf 600 000 Volt hochtransformierten Strom in Wechselstrom umzuwandeln und dann auf unsere Stromnetze zu transformieren. Schwankungen aus der heimischen Solar- und Windkraftstromerzeugung könnten so über den Strom aus der Wüste ausgeglichen werden. Kostenpunkt für das Szenario: rund 30 Milliarden Euro.

Leider geht in dem entsprechenden Kapitel etwas unter, dass diese Art von Energietransfer sehr kontrovers gesehen wird. Es gibt schon lange solche Bemühungen, etwa in Form des Desertec-Projekts; die kritischen Stimmen dazu kommen in dem Buch leider nicht zu Wort. Skeptiker meinen unter anderem, es sei zu ineffektiv und zu teuer, den Wüstenstrom über tausende Kilometer nach Europa zu leiten. Außerdem sei eine komplette Versorgung mit lokal und vor allem dezentral bereitgestelltem Solarstrom bereits in 20 Jahren möglich.

Interessant bleibt es, wenn sich die Autoren mit dem Aspekt Mobilität beschäftigen. Lesch und Kamphausen stellen ein visionäres Konzept vor, wie Algen künftig den Treibstoffbedarf von Flugzeugen stillen könnten. Vor den Toren Münchens gibt es bereits eine Versuchsanlage für dieses Projekt, das die TU München gemeinsam mit Airbus betreut. Leider fehlt auch hier die nicht ganz unwichtige Information, wie weit man noch weg ist von einer kostendeckenden Produktion von Treibstoff aus Algen.

Wie sähe eine Gesellschaft aus, in der wir künftig leben wollen? Eine Frage, die Lesch zum Abschluss mit dem deutschen Wissenschaftler und SPD-Politiker Professor Ernst Ulrich von Weizäcker erörtert. Viele Aspekte müssten wir in unserer Gesellschaft ändern, meint von Weizäcker. Etwa, Energie viel teurer zu machen, die Umverteilung von Gütern von Reich nach Arm zu forcieren, das Steuersystem unabhängiger vom Faktor Arbeit zu machen und stärker auf die Digitalisierung zu setzen. An manchen Stellen lesen sich Weizäckers Ansichten allerdings wie das Parteiprogramm der Sozialdemokraten.

Am Ende ist es doch jede(r) Einzelne, der oder dem die Verantwortung für ein nachhaltiges Leben obliegt, so Lesch und Kamphausen in ihrem Schlussplädoyer. Es liege an uns, Demut vor der Natur zu zeigen und sie nicht zu zerstören, so die beiden Autoren.

Lesch und Kamphausen ist ein Buch gelungen, das sehr zum Nachdenken anregt. Es bietet einen Überblick über den kritischen Zustand unserer Erde und präsentiert Lösungsansätze zu ihrer Rettung. Hier und da allerdings hätte dem Buch eine tiefgründigere Recherche gutgetan.

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