»Wenn Sie wüssten, wie ich wirklich bin«: Was denkt mein Therapeut über mich?
Hinter dem empathischen Nicken und dem verständnisvollen Lächeln eines Therapeuten versteckt sich mitunter mehr, als man vermuten mag. Resignation kann dabei sein, aber auch Angst, Mitgefühl, Belustigung oder echte Betroffenheit. Die Therapiegeschichten, die Wolfgang Schmidbauer und Dorothea Siegle in ihrem Buch zusammengestellt haben, geben einen guten Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt der Menschen, für die der Umgang mit psychischen Problemen Alltag ist.
Mehr als 50 Patienten lernt man in »Wenn Sie wüssten, wie ich wirklich bin« durch die Brille ihres Therapeuten oder ihrer Therapeutin kennen. Zum Beispiel Herrn B., der als Student seinen Drogendealer umgebracht hat und nun vor seinem Gefängnispsychologen die Muskeln spielen lässt. Der Therapeut nimmt dabei den Leser mit in seine Gedankenwelt: Er weiß genau, dass er sich nicht einschüchtern lassen darf, wenn die Therapie auch nur ansatzweise erfolgreich verlaufen soll. Und er weiß auch, dass die Beleidigungen und Anfeindungen, die B. ständig vom Stapel lässt, keine Signale der Ablehnung sind. Vielmehr versucht B., die Belastbarkeit der Beziehung zum Therapeuten zu testen.
Die thematische Bandbreite der Fälle, die hier vorgestellt werden, ist enorm. Mal geht es um ein Paar, das einfach nicht den richtigen Umgang mit Sex findet, dann wieder um einen Mann, der von seiner Therapeutin verlangt, einen auf ihm lastenden Fluch aufzuheben. Dabei stehen fast nie stereotypisierte Krankheitsbilder und Diagnosen im Vordergrund, sondern es geht um Menschen und ihre Geschichten.
Beziehungsangst, Trauer und Pech-Fluch
Aus den Begegnungen zwischen Patient und Therapeut kann man viel lernen. Zuallererst über die Psychotherapie ganz allgemein: Behandlungen laufen nicht nach Schema F ab, sondern werden auf die Bedürfnisse und Probleme der Klienten ausgerichtet. Und die Probleme können alles Mögliche sein: Begleitung bei der Trauerarbeit, Umgang mit Betrug in der Beziehung, ein schwer erziehbares Kind oder eben ein Pech-Fluch.
Man lernt als Leser aber auch einiges über sich selbst. Von den vielen Fragestellungen, die das Buch angeht, passen manche zwangsläufig mehr oder weniger auch auf das eigene Leben; sei es zum Thema Bindungsangst in einer komplizierten Beziehung oder mit Blick auf die Frau, bei der eigentlich alles in Ordnung ist, der das Leben aber nicht so viel Freude macht, wie es das aus ihrer Sicht sollte.
Trotzdem: Nicht alle Fallgeschichten haben dieselbe Qualität. Manche sind sprachlich etwas holprig, und einmal wird ein bei Experten umstrittenes Therapiekonzept – die Familienaufstellung – kommentarlos als Wunderheilmittel beschrieben; selbst den Husten der Betroffenen soll es geheilt haben. Und auch wenn die meisten Probleme der Patienten gut verdaulich wiedergegeben werden, fühlt man sich an einigen Stellen von der Darstellung heftiger Gewalt, die Patienten erlebt oder selbst ausgeübt haben, dann doch überfordert.
Sieht man einmal über diese alles in allem überschaubaren Mängel hinweg, kann man sich bei der Lektüre über viele intelligente Analysen und einige herzergreifende Momente freuen.
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