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Wenn die Schwiegermutter vorbeigeht und keiner es weiß

Für einen Sprecher der Östlichen Pomo, einer kleinen indianischen Ethnie in Kalifornien, muss ein deutscher Satz wie "es brennt" unpräzise wirken. Seine Sprache verlangt nämlich, dass er an das Verb "brennen" noch Suffixe anhängt, die ausdrücken, woher er weiß, dass es lodert. Er kann ein –ink'e anfügen, um kundzutun, dass er den Brand am eigenen Leib erfahren hat. Fügt er hingegen ein –ine hinzu, dann heißt das: Ich habe indirekte Hinweise und schließe darauf, dass es ein Feuer gibt. Eine weitere Variation lautet: Jemand hat mir gesagt, dass es brennt (-le).

Diese so genannte Evidentialität als grammatische Kategorie gibt an, welcher Quelle eine Information entstammt. Sie findet sich in einigen Sprachen aus unterschiedlichen Regionen der Erde. Das heißt nicht, dass Sprecher anderer Sprachen nicht auch in der Lage wären, Quellen anzugeben – doch sind sie nicht per Grammatik dazu gezwungen.

Warum das Erkennen und Interpretieren solcher sprachlichen Unterschiede von Bedeutung für das kulturelle Wissen der Menschheit ist, dieser Frage widmet sich der Linguist Nicholas Evans von der Australian National University in Canberra in seinem unterhaltsam geschriebenen Buch. Selbst Feldforscher, führt er kompetent in zahlreiche Sprachen ein. Darauf aufbauend diskutiert er sodann seine These: Jede Sprache stelle einen spezifischen Zugang zur Welt dar, der für die jeweilige Kultur Wichtiges hervorhebe und anderes vernachlässige. Das heiße aber nicht, dass Sprecher eines Idioms nicht in der Lage seien, sich jeweils neue Kategorien zu erschließen (das wäre im Übrigen ein wissenschaftliches Eigentor, denn dann könnte ein Feldforscher wie Evans, bedingt durch seine Muttersprache Englisch, viele Denkmuster der von ihm untersuchten Sprachen nicht erkennen).

Sprachen machen Leute

Exemplarisch schildert Evans, wie er durch intensives Befragen von Aborigines herausfinden konnte, was das Verb "wekemarnûmolkkûnhkdokan" aus der Aborigines-Sprache Dalabon bedeutet. Im Kern besagt es, dass zwei Personen gehen, doch hinzu kommen zahlreiche weitere Bedeutungen: Es drückt das Verwandtschafts- und Respektsverhältnis der beiden aus (in diesem Fall ist eine von den beiden die Schwiegermutter oder eine andere Respektsperson) und informiert darüber, ob das Gehen-Ereignis anderen bekannt ist und diesen zum Nachteil gereichen kann. Anhand solcher Fälle belegt Evans, dass manche Sprachen die "soziale Kognition", also Wissen über Handlungsträger, Rollen oder Ereignisse grammatikalisch an die Oberfläche holen und den Sprecher dadurch zwingen, sich über sie im Klaren zu sein. Wohingegen andere Sprachen hier unspezifische Aussagen zulassen und daher die Welt kognitiv anders einteilen – ihre Sprecher also gewissermaßen in einer anderen Gedankenwelt leben lassen.

Das Buch klinkt sich mit seinen zahlreichen und vergnüglich zu lesenden Beispielen in eine Debatte ein, die besonders in den 1990er Jahren mit einiger akademischer Schärfe geführt wurde. Während "Universalisten" die Existenz einer von allen Menschen geteilten Universalgrammatik mit abstrakten Gemeinsamkeiten und Denkkategorien postulierten, fochten "Relativisten" dafür, sich erst einmal die rund 6500 Sprachen der Erde genau anzuschauen und offen dafür zu sein, ob sich nicht doch Unterschiede im Denken der jeweiligen Sprecher finden. Evans Werk entspringt einer klugen Auseinandersetzung mit dieser Debatte und stützt sich auf die Befunde intensiver Feldforschung. Seine eigene These einer kulturell getriebenen Sprachentwicklung (angelehnt an den in Leipzig forschenden Anthropologen Michael Tomasello) stellt er differenziert vor, wobei er sich auch mit möglichen Einwänden auseinandersetzt.

Schwindendes Wissen

Der Autor plädiert aus zweierlei Gründen für ein unermüdliches Erforschen der Sprachen, die vielfach vom Aussterben bedroht sind. Zum einen, weil mit ihrem Verschwinden relevantes Wissen verloren ginge – etwa über ökologische Zusammenhänge, landwirtschaftliche Techniken oder bislang unbekannte Tierarten. Zum anderen, weil das Durchdringen fremder Sprachen helfe, Varianten sozialer Kognition zu verstehen, die kein mathematisches Modell voraussagen könne.

Einen Pferdefuß haben Evans' Überlegungen: Wer sich das Denken nur über die Sprache erschließt, erforscht, was Menschen sagen – aber nicht notwendigerweise, was und wie sie denken. Evans ist sich dieser Schwäche bewusst und berichtet daher auch über Feldforschung, die mittels psychologischer Methoden das Denken möglichst "sprachfrei" untersucht. Er fordert eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Linguisten und Psychologen – verständlich, denn nur diese Strategie ist geeignet, des Autors eigene These zu untermauern.

Evans gelingt es, jenseits von Wehleidigkeit für einen klugen Umgang mit bedrohten Sprachen einzutreten – und bei der Gelegenheit auch die Techniken der Sprachaufzeichnung und -archivierung zu umreißen. Das Buch überzeugt als gekonnte Mischung aus Forschungsbericht, Sprach- und Kulturreflexion und der Frage, was wir sinnvollerweise mit dem dabei erworbenen Wissen anfangen sollten.

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