Erleuchtung auf Helgoland
In den 1920er Jahren wurden Physiker in Deutschland verehrt wie Popstars, und theoretische Physik galt als hochspannende Disziplin. Denn während das traumatisierte Land unter den Folgen des Ersten Weltkriegs ächzte, waren deutschsprachige Physiker bei ihren Forschungsarbeiten produktiv und international wettbewerbsfähig wie nie zuvor. Namen wie Albert Einstein, Erwin Schrödinger, Lise Meitner, Wolfgang Pauli und Max Planck hallen noch heute nach. Doch als später die Nationalsozialisten die Macht ergriffen, flohen viele Physiker ins Ausland.
Eine Ausnahme war Werner Heisenberg (1901-1976), der in Deutschland blieb, obwohl er die Nazis verachtete. Wie kam er mit dem Regime zurecht? Und leistete der geniale Wissenschaftler aktiven Widerstand gegen den Bau einer deutschen Atombombe, oder scheiterte er aus fachlichen Gründen an der Entwicklung einer solchen?
Wissenschaftsautor Ernst Peter Fischer schildert Heisenbergs Leben vor dem Hintergrund der beiden Weltkriege im 20. Jahrhundert. Und vermittelt dabei fast unmerklich Schlüsselkonzepte der Quantenmechanik, zu deren Pionieren Heisenberg zählte. Was ist Licht? Was sind komplementäre Eigenschaften eines Quantenteilchens, und was besagt die Unbestimmtheitsrelation? Diese Fragen beantwortet Fischer in seiner Heisenberg-Biografie, während er auf den Spuren seines Protagonisten wandelt. Dabei zeigt er auf, was Wissenschaft so staunenswert macht.
Irrige Vorstellung von Murmeln
Wir stellen uns die Welt der Atome oft mithilfe von Alltagserfahrungen vor – mit Elektronen, die um den Atomkern kreisen wie Murmeln um eine Kugel. Aber diese Vorstellungen versagen in der Quantenwelt. Heisenberg gab die erste mathematische Formulierung der Quantenmechanik an und war somit ein Vorreiter darin, die physikalischen Eigenschaften von Materie im Größenbereich von Atomen und darunter zu berechnen. Mit diesem Instrumentarium ausgestattet konnten Wissenschaftler Dinge verstehen wie das Leitfähigkeitsverhalten von Halbleitern. Das wiederum läutete das Zeitalter der Elektronik ein, mit Lasertechnik, Halbleiter-Transistoren und Speichermedien bis dahin unvorstellbarer Kapazität.
Mit Siebenmeilenstiefeln erschloss sich Heisenberg die Physik. Er studierte die Fachrichtung in München und machte seinen Abschluss nach drei Jahren, um dann zu promovieren und anschließend in Göttingen unter Max Born (1882-1970) zu arbeiten. Mit 23 Jahren habilitierte er sich, in den folgenden Jahren begründete er mit Born und Pascual Jordan (1902-1980) die theoretische Quantenmechanik, was ihm den Nobelpreis für Physik einbrachte. Im Alter von 26 wurde er als Professor an die Universität Leipzig berufen und schaffte von hier aus den Anschluss an die moderne Atomphysik.
Seeluft schnuppern und grübeln
Dem vorangegangen war eine revolutionäre Idee, die Heisenberg mit 24 gehabt hatte. Er hatte einen Heuschnupfen kurieren wollen und sich eine Auszeit auf Helgoland genommen, wo er über Problemen des bohrschen Atommodells brütete. Tagsüber war er in den Felsen geklettert und hatte Goethe gelesen. Zu später Stunde kam ihm die wegweisende Eingebung, statt mit den bohrschen Atombahnen nur mit messbaren Spektraleigenschaften der Atome zu arbeiten und diese in einem Matrizenschema anzuordnen. Dieses "Matrizenmechanik" genannte Vorgehen führte zur Bezeichnung Quantenmechanik.
Die Begebenheit auf Helgoland zeigt exemplarisch: Wandern in verschiedenen Welten war ein Wesenszug Heisenbergs. Er spielte oft bis zur Erschöpfung Klavier, las leidenschaftlich gern Gedichte, versuchte sich im Philosophieren über die neuen physikalischen Erkenntnisse und entspannte sich beim Wandern in der Natur. In seinem Institut stellt er als junger Professor eine Tischtennisplatte auf, um beim Pingpong mit anderen zu entspannen. Diese Vielseitigkeit klingt im Titel des Buchs an.
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde es ruhiger um Heisenberg. Nach einer Internierung durch die Alliierten, die von ihm wissen wollten, inwieweit Wissenschaftler in Deutschland am Bau einer deutschen Atombombe beteiligt gewesen waren, musste er "viel Kraft und Mühe …. für die Beschaffung einfachster Ausrüstungsgegenstände aufwenden." Organisatorische Aufgaben standen für ihn im Vordergrund, etwa die Gründung des Deutschen Forschungsrats. Unter seiner Leitung nahmen deutsche Physiker wieder vorsichtig internationale Beziehungen auf. Seine Suche nach einer Weltformel blieb erfolglos. Dieser Zeit widmet der Autor nur ein sehr kurzes Kapitel.
Fotos von Weggefährten und der Familie Heisenbergs bebildern das Buch. Fischer gelingt es, seine Leser ins Geschehen hineinzuziehen – teils mithilfe von saloppem Sprachgebrauch ("er lungerte herum", "er stibitzte"). Vor allem jungen Lesern legt der Verlag die Lebensgeschichte Heisenbergs ans Herz, doch auch Erwachsene werden sich freuen, neben der lesenswerten Biografie eine bildhafte und verständliche Einführung in die Quantenmechanik zu finden.
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