»Wespen« : Wespen: weit mehr als die Gangster der Insektenwelt
Seirian Sumner ist Insektenforscherin und Professorin für Verhaltensökologie am University College London. Sie beschäftigt sich vor allem mit der Evolution von sozialen staatenbildenden Insekten. Den Rowdy-Ruf verdanken Wespen ihren räuberisch und parasitär lebenden Artgenossen, die andere Insekten vergiften, ermorden oder sogar lebendig verfüttern, um ihre Brut großzuziehen. Doch dass sie dadurch auch zu effektiven Schädlingsbekämpfern werden, fällt bei der Bewertung meist unter den Tisch.
Gleich zu Beginn des Buches wird klar, dass die Autorin die Nase voll hat vom Medienhype um die nützlichen Bienen, die wohlorganisiert süßen Honig produzieren, den alle lieben. Die Wespe dagegen werde als lästige, bösartige Stecherin wahrgenommen, die jedes spätsommerliche Picknick vermiese. Dabei seien Bienen nur Wespen, die vergessen hätten, wie man jagt. Genau wie Ameisen nur Wespen seien, die im Laufe der Evolution irgendwann ihre Flügel verloren hätten. Ihre Botschaft ist deutlich: Wespen haben viel mehr Bewunderung verdient, als sie derzeit bekommen!
Anfangs verwirrt die Vorstellung der vielen verschiedenen Wespenarten ein wenig, denn offensichtlich macht jede auf eine etwas andere Weise und mit speziell produzierten Substanzen Beute. Manche injizieren mit ihrem Stachel in jedes einzelne Raupensegment ein lähmendes Gift, bevor sie die Beute abtransportieren. Andere balsamieren ihre Beute mit Spucke ein, um sie vor Pilzbefall zu schützen. Anschließend wird diese mitsamt eines Eis in einer Brutkammer abgelegt, die dann verschlossen und sich selbst überlassen wird.
Sumner gelingt es, enorm viel Wissen in appetitliche Lesehappen zu verpacken und den Leser immer wieder zu faszinieren. So sitzt sie beispielsweise mit drei renommierten Wespenforschern aus dem letzten Jahrhundert vor einem imaginären Kaminfeuer und erklärt ihnen aus heutiger Sicht Phänomene, die diese vor langer Zeit staunend beobachtet und aufgezeichnet hatten. Besonders nett ist das Kapitel, in dem sie mit Aristoteles zu Abend isst und sich mit dem Philosophen und Naturforscher über Wespen austauscht.
Wespen bekämpfen Schädlinge und spüren Sprengstoff, Leichen oder Drogen auf
Wenn Sumner beschreibt, wie eine Wespe mit ihren Fühlern auf den Boden klopft, um dem beobachtenden Wespenforscher zu zeigen, wo die nächste unterirdisch versteckte Raupe zu finden ist, und ihn diese dann ausgraben lässt, dann kann man sich über eine solche Mensch-Wespe-Interaktion nur wundern. Auch, dass Wespen die besseren Spürhunde seien, wenn es darum geht, Sprengstoff, Leichen oder Drogen zu finden, und dass sie vom Menschen wirklich dafür eingesetzt werden, bringt einen zum Staunen.
Die Autorin gewährt dem Leser tiefe Einblicke in die Wespenforschung, die mit dem Verfolgen von Flugrouten einzelner Wespen auf einer Wiese beginnt, sich über das Markieren und Beobachten Hunderter Tiere in einem Nest fortsetzt und schließlich im Labor ihren Höhepunkt findet bei der genetischen Analyse von Wespengehirnen oder ihrem Magen-Darm-Inhalt. Sehr unterhaltsam beschreibt die Autorin, wie sie die nummerierten Wespen beobachtet und sich dabei vorkommt wie die Drehbuchautorin einer Seifenoper. Auch in Wespengesellschaften bestünden Hierarchien, Kooperationen und Möglichkeiten zur Konfliktlösung. Aber im Gegensatz zum Bienenstaat gebe es für manche Wespenarten durchaus gesellschaftliche Aufstiegsmöglichkeiten, was unter bestimmten Umständen schnell zur Palastrevolution führen könne.
Wespen sind bisher weit weniger erforscht als Bienen. Die Autorin möchte mit ihrem Buch dazu beizutragen, dass der mögliche Nutzen von Wespen als Schädlingsbekämpfern oder Proteinquelle bald mehr im Vordergrund steht und besser untersucht wird. Ihrer Einschätzung nach dürfte besonders im Hinblick auf den Klimawandel die Rolle von Insekten als Eiweißlieferanten größer werden, da sie wesentlich effizienter zu produzieren sind als Hühner, Schweine oder Rinder.
Sumner lässt den Leser enthusiastisch an ihren Überlegungen zum Wespenverhalten teilhaben. Nicht selten muss man nach einigen Seiten aber feststellen, dass sie ihre zuvor detailliert erklärte Theorie wieder verwirft und erst danach mit der richtigen Deutung herausrückt oder zugeben muss, dass es für die eine oder andere Überlegung bisher noch keine Belege gibt.
Die Autorin berichtet in ihrem Buch auch viel Wissenswertes über Bienen, die sie gerne mit der klassenbesten Streberin vergleicht, während Wespen eher die Unruhestifterinnen seien. Doch trotz aller Bemühungen wird man am Ende des Buches wohl eher mit den Bienen sympathisieren als mit den Wespen. Es trägt aber auf jeden Fall dazu bei, ganz allgemein die Wertschätzung gegenüber Insekten zu erhöhen und ihren wichtigen Beitrag zum Erhalt zahlreicher Ökosysteme zu honorieren. Nach dieser Lektüre erscheint es unvorstellbar, das nächste störende Insekt einfach zu beseitigen.
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