Der Witterung erlegen
Im Jahr 1708 begann die kalte Jahreszeit ähnlich wie im Jahr 2015. Den Auftakt gab ein kalter Oktober mit Minustemperaturen, auf den ein milder November folgte. Im Dezember fielen die Temperatur europaweit tief unter den Gefrierpunkt und verharrten dort bis März, wobei sie zahlreiche Negativrekorde brachen. Hunger, Seuchen und soziale Unruhen griffen um sich. In Frankreich starben etwa eine halbe Million Menschen. Flüchtlinge aus ländlichen Regionen strömten in die Städte. Zudem setzte eine große Auswanderungswelle ein, vor allem nach Amerika. Verursacht worden war der harte Winter vor allem von Vulkanausbrüchen auf Honshu (Japan) und Santorin (Griechenland). Sie verschärften die Temperaturen so genannten Kleinen Eiszeit, einer Periode relativ kühlen Klimas von Anfang des 15. bis ins 19. Jahrhundert hinein.
Die Kleine Eiszeit hatte schon den Zeitgenossen des 16. Jahrhunderts kaltes, stürmisches und niederschlagreiches Wetter beschert. Sie ebnete damit den Boden für eine folgenreiche Katastrophe der Menschheitsgeschichte: Bei ihrem Angriff auf England im Jahr 1588 unterlag die Spanische Armada mehr den Stürmen als den englischen Schiffen.
Wissenschaftsjournalist Ronald Gerste widmet sich in seinem Buch solchen Wetterphänomenen, die seiner Ansicht nach Geschichte machten. Für ihn scheiterte Napoleon Bonaparte mehrmals an meteorologischen Phänomenen: Nicht nur 1812 in Russland an der extremen Kälte, sondern auch im Sommer 1815 in Waterloo am allgegenwärtigen Regen und Schlamm. Die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts waren insgesamt eine Periode schlechten Wetters.
Norwegischer Wein
Der Kleinen Eiszeit war zwischen etwa 1000 und 1300 eine Wärmeperiode vorausgegangen, die laut Gerste der damaligen Kultur zur Blüte verhalf. Alpengletscher schwanden und die Zonen ertragreichen Bodens breiten sich weit nach Nord- und Mitteleuropa aus. So wuchsen am Weintrauben am Oslo-Fjord. Die Bevölkerung verdoppelte sich, was zu umfangreichen Waldrodungen und ausgedehnten Kahlflächen führte. Heute gibt es mehr Wald in Deutschland als gegen Ende des Hochmittelalters. Im 14. Jahrhundert dann änderten sich die Verhältnisse, und es setzte eine Ära schlechten regenreichen Wetters ein mit Hungersnöten, Pestepidemien und sozialen Verwerfungen.
Solche Perioden mit niedrigen Temperaturen und großen Niederschlagsmengen lassen sich häufig auf vulkanische Aktivitäten zurückführen. Zwar hat die heutige westliche Zivilisation mehr Möglichkeiten als früher, darauf zu reagieren. Doch auch sie ist nicht vor Wetterextremen gefeit – man denke an den Hurrikan Katrina, der 2005 New Orleans überschwemmte. In armen, schlecht entwickelten Ländern sehen sich die Menschen dem Wetter sogar ähnlich hilflos ausgeliefert wie noch vor Jahrhunderten.
Klimadiskussion
Wetter als Einflussfaktor historischer Prozesse: Das Buch belegt diese Verbindung vielfach eindrucksvoll und erweist sich dabei als spannendes, fundiertes Werk. Natürlich geht Gerste immer wieder auf die aktuelle Debatte über den anthropogenen Klimawandel und seine Folgen ein. Dabei versucht er, einen neutralen Standpunkt einzunehmen. Wenn er am Ende des Bands dafür plädiert, die Kohlendioxidemissionen zu mindern, dann aus vernünftiger Vorsicht heraus und nicht aufgrund vermeintlich unabdingbarer Notwendigkeiten.
Leider hält der Autor manchmal sein Versprechen nicht ein, zu erklären, wie das Wetter Geschichte macht. Stattdessen stellt er dann den umgekehrten Zusammenhang her – wie nämlich Akteure mit dem Wetter umgehen. Das ist etwa der Fall, wenn er die Landung der Alliierten 1944 in der Normandie schildert. Auch stört, dass Gerste gelegentlich kriegerische Details und Grausamkeiten schildert, die mit dem Thema nichts zu tun haben. Interessant ist das Buch trotzdem.
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