»Wie gesund wollen wir sein?«: Schöne neue Gesundheitswelt?
Vom Titel eines Sachbuchs erwartet man, dass er den Leser über das zentrale Thema des Werks informiert. Dass es in »Wie gesund wollen wir sein?« um Gesundheit geht, trifft zu. Das Wort »wollen« scheint zudem eine moralphilosophische Reflexion anzudeuten. Dass diese nicht im Zentrum steht, verdeutlicht der Untertitel: »Warum KI und Digitalisierung das Gesundheitssystem menschlicher machen«. Im Verb »wollen« steckt also weniger eine ethische Fragestellung als vielmehr eine praktische Vision: dass es sich in Gesellschaften mit intensiver Verarbeitung medizinischer Daten gesünder leben lässt.
Autor Sven Jungmann ist ausgebildeter Arzt und Experte für digitale Gesundheit. Sein Buch befasst sich mit Big Data im Gesundheitssystem, der digitalen Patientenakte und der Telemedizin. Außerdem kommen auch Themen zur Sprache, die bei technikbegeisterten Unternehmern oft eher weniger Interesse finden, etwa Datenschutz und Eigenverantwortung der Patienten. Jungmanns zentrales Argument ist, dass der Einsatz von künstlicher Intelligenz und anderen digitalen Werkzeugen das medizinische Fachpersonal entlasten kann – was diesem wiederum mehr Zeit für den direkten Kontakt mit dem Patienten einräume. Die größte Hürde sieht der Autor darin, dass sowohl die Gesellschaft als auch politische Entscheider noch zu wenig zu diesen Themen wissen; dies führe zu Ängsten, und die Digitalisierung gerate dadurch ins Stocken.
Big Data als Chance
Das zeige sich etwa beim Datenschutz. Patienten befürchten die unbefugte Weitergabe ihrer medizinischen Daten, was sie davon abhalte, diese digital verfügbar zu machen. Ohne diese Daten kann eine KI aber weder trainiert werden, noch kann sie automatisiert in kürzester Zeit Diagnosen stellen. Medizinunternehmer fühlen sich deshalb durch den Datenschutz ausgebremst. Jungmann plädiert an dieser Stelle für kreative Lösungen: Er schlägt vor, eine Art dezentrales Lernen anzuwenden. Hierbei arbeiten verschiedene Maschinen und Computer an unterschiedlichen Orten rein lokal mit den tatsächlichen Patientendaten und geben nur die Ergebnisse dieser Lernprozesse an einen zentralen Server weiter. Es gebe zudem die Möglichkeit der Datenspende: Hierbei kann ein Patient verfügen, dass alle seine Patientendaten entweder sofort oder aber nach seinem Tod verwendet werden dürfen.
Der Autor beschreibt die Möglichkeiten neuer Technologien und präsentiert Lösungen für Probleme, die sie aufwerfen. So möchte er seinen Lesern den Zugang zu vermeintlich sperrigen Themen vermitteln und ihnen gleichzeitig die Angst vor ihnen nehmen. Besonders gut gelingt dies immer dann, wenn er technische Details erläutert. Das Unternehmen Jungmanns befasst sich beispielsweise mit einer Technologie, welche die Atemanalyse vor allem auch durch Einsatz modernster Software vereinfachen und beschleunigen soll. Was er »E-Nose« nennt, ist ein Gerät, in das man hineinbläst und das mittels Laseranalyse auf molekularer Ebene die Zusammensetzung der Atemluft bestimmt. Eine Software kann diese Daten anschließend auswerten und bei Auftreten bestimmter Stoffe oder Stoffkombinationen eine vorläufige Diagnose stellen.
Weniger überzeugend ist das Buch dagegen immer dann, wenn es um ethische Fragen geht. Diese Problemfelder behandelt Jungmann eher oberflächlich und begegnet Einwänden hier häufig mit sehr schwachen Gegenargumenten. So lässt sich der Autor etwa zu einem klassischen »Whataboutism« hinreißen, wenn er argumentiert, dass der Datenschutz in Kliniken »offline« wegen veralteter Technik (etwa Faxgeräte) oder schlechten Abläufen oft auch kaum gewährleistet sei. Ausführungen wie diese sind aber keine angemessenen Antworten auf die Bedenken von Patienten, Hacker könnten ihre digitalen Gesundheitsdaten stehlen. Auch Jungmanns Hinweis, dass man nun mal immer »Sicherheit vs. Gesundheit« gegeneinander abwägen müsse, hinterlässt einen faden Beigeschmack.
»Wie gesund wollen wir sein?« ist ein angenehm zu lesendes Buch, das sehr viele Informationen zu schon heute existierenden technischen Möglichkeiten liefert. Wen diese interessieren, dem sei das Werk wärmstens empfohlen. Wer wie der Rezensent ob des Titels eine stärker ethisch geprägte Auseinandersetzung erwartet, dürfte vermutlich eher enttäuscht werden.
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