Das Tier als Tüftler
Was macht den Menschen zum Menschen? Schon Plato versuchte die Abgrenzung zum Tier auszumachen, schreibt der Zoologe und Ethnologe Peter-René Becker in seinem Buch »Wie Tiere hämmern, bohren, streichen«. Das falle aber immer schwerer: »Wissenschaftler entdecken zunehmend Menschliches im Tier und Tierisches im Menschen«, erklärt er. »So bezweifeln manche Neurobiologen den bedingten freien Willen im menschlichen Handeln, gleichzeitig werden im Verhalten von immer mehr Tierarten Aspekte von Tradition und Kultur entdeckt.«
Ameisen mit Schwamm
Es gibt diverse Merkmale, Fähigkeiten und Verhaltensweisen, die zur Diskussion standen und stehen, um die Einzigartigkeit des Menschen zu begründen. Dazu gehörte der Werkzeuggebrauch, der aber nachweislich nicht dem Menschen allein vorbehalten ist. Beckers Buch zeigt nun allerdings eindrucksvoll, wie weit verbreitet und vielfältig die auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtete Nutzung körperfremder Gegenstände bei Tieren tatsächlich ist – mit oft faszinierenden Beispielen.
Bestimmte Ameisen etwa betreiben Schwammtrinken. Dafür legen sie kleine Federn am Nesteingang aus. Hat sich über Nacht an deren Strahlen Wasser abgesetzt, können sie die Tautropfen am nächsten Tag trinken. Ködernde Vögel gehen aber nicht minder einfallsreich vor: »Im kenianischen Nairobi National Park fing ein Mangrovenreiher eine Biene und warf sie auf die Wasseroberfläche; wenn das Insekt zu weit forttrieb, nahm der Reiher es wieder in den Schnabel und warf es erneut ins Wasser.« Ein Vogel habe so in kurzer Zeit sieben Fische gefangen.
Mehr als 2800 Publikationen seien in das Werk eingeflossen, schreibt der Autor. Und tatsächlich präsentiert er eine überwältigende Materialfülle, auf gut 200 Seiten komprimiert und systematisch aufbereitet. Beckers Stil ist schnörkellos, das Material denkbar dicht und detailreich präsentiert: »Im Gegensatz zum eben beschriebenen echten Hämmern wird der Hammer beim Quasi-Hämmern nicht bis zum finalen Kontakt in der Hand, der Pfote oder im Schnabel gehalten, sondern kurz vor dem Aufprall auf das zu verformende, hier: zu öffnende, Objekt losgelassen.«
Wer unterhaltsame Tiergeschichten sucht, wird hier wohl nicht fündig. Das Buch ist aber eine unschätzbare Quelle für all jene, die umfassend und auf den Punkt über den Werkzeuggebrauch bei Tieren informiert werden möchten. Einzig zu bemängeln ist die Bildauswahl. Einige der Fotos sind so klein oder unscharf, dass sich die Darstellungen oft kaum erkennen lassen, was äußerst bedauerlich ist.
Dafür ist im Text für leichte Orientierung gesorgt: Kapitelweise werden einzelne Werkzeugarten und hier spezifische Tiergruppen oder Arten behandelt. Auf hämmernde Insekten folgen etwa hämmernde Vögel, hämmernde Raubtiere, hämmernde Neuweltaffen, hämmernde Altweltaffen und schließlich hämmernde Menschenaffen: »Die Schimpansen bevorzugten zum Knacken der Coula-Nüsse als Hämmer Steine gegenüber Holz, Hartholz gegenüber Weichholz, wählten schwere Steine, aber relativ leichtere Holzhämmer, wählten zunehmend schwerere Hämmer, je näher sie am Amboss lagen, und wählten leichtere Hämmer, wenn sie zum Nussknacken auf einen Baum stiegen.«
Ganz so einfach ist die Einordnung jedoch nicht immer. Der Mensch kann tierisches Verhalten nur interpretieren. Dabei müssen wir zwangsläufig menscheneigene Begriffe verwenden und an die jeweiligen Tätigkeiten der Tiere und deren oft flexible Nutzung von Objekten anpassen. Da werde aus einem Stein ein Hammer, aus einem kleinen Stock ein Bohrer und aus einem Stück Borke ein Pinsel, so Becker. Ein zweiter Stein kann dann allerdings auch ein Wurfgeschoss werden, ein zweiter Stock eine Sonde und ein weiteres Stück Borke ein Köder.
Anders als Menschen verfügen Tiere über keinen Werkzeugkasten mit zweckdienlichen Hilfsmitteln, sondern müssen sich in ihrer Umwelt zurechtfinden. Im Übrigen sind sie uns aber ähnlicher als vielleicht vermutet. Welche vermeintlich menschliche Eigenart zeigen sie darüber hinaus? Unter anderem ist Trauer ein umstrittenes Verhalten bei Tieren. Hat also Loriot das letzte Wort? »… er sagt, der Mensch sei das einzige Wesen, das im Fliegen eine warme Mahlzeit zu sich nehmen könne«, schreibt Becker.
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