»Wie uns das Recht der Natur näher bringt«: Eigene Rechte für Ökosysteme? Für einen neuen Umgang mit der Natur
Was verbindet den Río Atrato in Kolumbien und den Whanganui River in Neuseeland mit den indischen Gletschern Gangotri und Yamunotri? Sie alle verfügen mittlerweile über den Status einer juristischen Person. Sacha Bourgeois-Gironde greift in seinem Essay Beispiele wie diese auf und geht der Frage nach, wie sich das Verhältnis von Mensch und Natur mit rechtlichen Mitteln neu definieren lässt.
Für den Autor, seines Zeichens Philosoph und Ökonom, ist die Anerkennung von Gewässern oder Gebirgen als juristische Person nur ein erster, jedoch notwendiger Schritt. Werde die Beziehung zwischen Mensch und Natur nicht mehr als Verhältnis von Staat und Bürgern und damit im öffentlichen Recht geregelt, sondern als Verhältnis zwischen Bürgern, könnten neue Wege beschritten und zivilrechtliche Verträge zwischen Mensch und Natur geschlossen werden.
Die Verwandlung einer Sache in eine juristische Person – und umgekehrt – ist Rechtstheoretikern durchaus vertraut. Im Erbrecht stellt sich zum Beispiel die Frage, welchen Status die Habe eines Verstorbenen im Zeitraum zwischen Tod und tatsächlicher Vererbung hat. Im römischen Recht galt: Nach dem Tod wurde der Besitz zunächst zu einer eigenständigen juristischen Person, dem so genannten ruhenden Nachlass. Sobald das Erbe geregelt war, verwandelte er sich im rechtlichen Sinn wieder zu einer Sache.
Wie schließe ich einen Vertrag mit einem Ökosystem?
Bourgeois-Gironde schlägt vor, sich von Regelungen wie diesen inspirieren zu lassen. So könne ein Fluss als juristische Person einer Gruppe von Menschen erlauben, ihn als Sache zu gebrauchen, also in ihm zu fischen oder das anliegende Land zu bewirtschaften – unter der Bedingung, dass dies nachhaltig geschieht.
Aber wie soll ein Ökosystem sein Einverständnis zu einem solchen Vertrag geben? Am Umgang mit dieser Frage zeigt sich das Rechtsverständnis des Autors: Er sieht Recht nicht als Medium zur Abbildung von Wirklichkeit, sondern als Instrumentarium, mit dessen Hilfe sich Interessenkonflikte aushandeln lassen. Entscheidend ist hier der Begriff der juristischen Fiktion. So wie Vereine, Unternehmen oder Gemeinden als juristische Person »fingiert« werden, so könne dies auch mit Blick auf Ökosysteme wie Flüsse geschehen. Im Sinn einer juristischen Fiktion könne dann angenommen werden, dass diese mit einer Nutzung durch Menschen in einem bestimmten Rahmen einverstanden sind.
Dieser kompakte Essay beginnt mit zwei abstrakteren Kapiteln, konkreter wird er dann ab dem dritten von sieben Abschnitten. Insbesondere Lesern ohne juristische und philosophische Vorkenntnisse wird es nicht ganz leichtfallen, der Argumentation des Autors zu folgen, zumal sie sprachlich mitunter etwas verschachtelt daherkommt. Dennoch ist der Band aus der Reihe »Fröhliche Wissenschaft« ein inspirierender Beitrag zu einer wichtigen Debatte. Er zeigt, wie sich Recht mit Blick auf das Verhältnis von Mensch und Natur kreativ gestalten lässt – im Sinn eines neuen Miteinanders.
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