Von Steinwerkzeugen, Druckerpressen und Kloschüsseln
Einsteins Relativitätstheorie, Turings Maschinen und da Vincis Mona Lisa. Alles Geistesblitze, die Genies aus sich selbst schöpfen? Nein, schreibt Stefan Klein, Bestsellerautor und Physiker, in seinem neuesten Buch. Aber wie kam es zu solchen revolutionären Errungenschaften, und welche Folgen zogen sie nach sich? Um diese Fragen zu beantworten, nimmt Klein den Leser mit auf eine unterhaltsame Reise durch den schöpferischen Geist von der Stein- bis zur Neuzeit.
Im ersten Teil seines Buchs begleitet der Autor die berühmte Archäologin Sonia Harmand zum Ursprungsort menschlicher Schöpfungskraft: zu den Steinwerkzeugen von Lomekwi, erschaffen vor 3,3 Millionen Jahren in Afrika. Diese allerersten Klingen zum Bearbeiten von Nüssen und Knollen zeugen bereits von dem Vermögen, Neues und Wertvolles zu kreieren. Genau das macht Kreativität für Klein aus. Auch Krähen, die Zweige zu Haken krümmen, um Larven geschickter zu fangen, sind kreativ, betont er. Die Fähigkeit, nicht nur durch Nachahmung, sondern ebenso mittels Sprache voneinander zu lernen, unterscheide den Menschen allerdings von anderen Lebewesen – und habe ihm erlaubt, komplexe Ideen auszutauschen, weit reichende Erkenntnisse zu gewinnen und abstrakt zu denken.
Schriftzeichen ermöglichten das Outsourcing von Wissen
Doch der Startschuss der menschlichen Schöpferkraft in der Wüste Kenias verhallte erstaunlicherweise in zigtausenden Generationen, ohne dass viel passierte, so der Autor. Erst die zweite Revolution in Form von Symbolen trat eine Lawine an Erfindungen los. Die ältesten Zeichen befinden sich in der Pasiega-Höhle und sind vor mindestens 64 000 Jahren durch Neandertaler entstanden. Die Felsmalereien zeigen Linien, Striche und Hirsche. Durch Zeichen ließ sich fortan Wissen außerhalb des Geistes speichern und Gedanken ließen sich besser ordnen, schreibt Klein. Auch der Nobelpreisträger Richard Feynman (1918–1988) betonte einst, dass er anhand der Symbole auf dem Blatt Papier denke und nicht allein in seinem Kopf.
Gutenbergs Druckerpresse beendete die Alleinherrschaft der Mächtigen über das Wissen der Menschen
Die Schaffenskraft explodierte schließlich mit der dritten Revolution, als Gutenbergs Druckerpresse eine nie da gewesene Massenkommunikation und Vernetzung auslöste. »Die Alleinherrschaft der Mächtigen über das Wissen der Menschen war damit beendet«, schreibt Klein im dritten Teil. Ideen verbreiteten sich schneller und waren einfacher zugänglich. Die Anzahl an gedruckten Büchern stieg von 20 Millionen um das Jahr 1500 auf das Zehnfache 100 Jahre später. So wäre Amerika wohl nicht entdeckt worden, hätte sich Christoph Kolumbus (1451–1506) nicht von Marco Polos Reiseberichten und einem Geografiebuch inspirieren lassen.
Während der Autor die Geschichte in vier Teilen chronologisch voranschreiten lässt, wechselt er geschickt zwischen Entdeckungen der Vergangenheit und ihren Auswirkungen auf die Gegenwart – und macht so die Tragweite der Erfindungen deutlich. Besonders die stilvollen Schwarz-Weiß-Zeichnungen der Illustratorin Stefanie Harjes, die persönlichen Anekdoten von Stefan Klein und die spannenden Studien regen zum Nachdenken an. Einziges Manko: Der Entdeckung der Sprache und ihrer Bedeutung für die Kreativität wurde kaum Raum gegeben. Dennoch ist das Buch jedem wärmstens empfohlen, der wissen will, was hinter der vierten Revolution steckt, was die Vermessung von Einsteins Gehirn ergab oder warum eine Kloschüssel das bedeutendste Kunstwerk des 20. Jahrhunderts ist.
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