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Genetik ist keine Ausrede

Nicht nur unser Erbgut bestimmt, wer wir sind, sondern auch Umwelteinflüsse sind entscheidend. Das neue Sachbuch verdeutlicht, dass wir unseren Genen nicht ausgeliefert sind.

Auf 240 Seiten beschreiben die Neurowissenschaftlerin Isabelle Mansuy, der Psychotherapeut und Autor Jean-Michel Gurret sowie die Autorin und Journalistin Alix Lefief-Delcourt in ihrem Buch »Wir können unsere Gene steuern!«, dass nicht nur unsere Gene, sondern auch die Einflüsse unserer Umwelt bestimmen, wer wir sind.

Ein- und Ausschalten der Gene

Die so genannte Epigenetik lässt sich vereinfacht als das Ein- und Ausschalten bestimmter Gene beschreiben. Die Gesamtheit dieser Zustände ist weitaus komplexer und viel dynamischer als das Genom selbst. Sogar die Umwelt unserer Vorfahren spielt eine wichtige Rolle, da sich epigenetische Veränderungen ähnlich wie Gene vererben lassen. Historisch gesehen ist die Epigenetik eine relativ junge Forschungsrichtung, ihre Anfänge liegen etwa 80 Jahre zurück. Seit den 2000er Jahren erfährt sie einen regelrechten Aufschwung – und ein baldiges Abklingen ist nicht zu erwarten.

Um epigenetische Vorgänge zu verstehen, muss man die Grundlagen der Genetik und Molekularbiologie sowie die Mechanismen der Genexpression kennen. Die Autoren beschreiben diese fundamentalen Vorgänge sehr gut. Selbst komplexe Prozesse wie springende Genabschnitte ergänzen sie anschaulich mit Abbildungen. Doch an manchen Stellen fehlt es den Erklärungen an Leichtigkeit. Bildhafte Analogien wären für den Leser gerade bei komplizierten Vererbungsprozessen oder Szenarien für die Vererbung von epigenetischen Veränderungen hilfreich. Auch die immer neue Einführung genetischer Mechanismen wie der Reprogrammierung und der genomischen Prägung sind manchmal schwer zu erfassen. Am Ende des Buchs findet sich aber ein Glossar, das die verschiedenen Fachbegriffe zusammenfasst.

Besonders spannend ist die Aufbereitung einiger Studien, die zum Beispiel untersuchen, wie die Epigenetik mit emotionalen und psychologischen Aspekten zusammenhängt. Der Abschnitt ist wohl der Expertise von Jean-Michel Gurret geschuldet und vermittelt dem Leser einen weiteren interessanten Einblick in die Epigenetik.

Am Ende des Werks findet man zwei Anhänge: Neben einem historischen Überblick über die wichtigsten Erkenntnisse der Genetik, von Mendel über Darwin und die Aufklärung der DNA-Struktur bis hin zum »Human Genome Project« (HUGO), gibt es ein kurzes Quiz, das die wichtigsten Eckpunkte und Themen des Buchs zusammenfasst.

Die Epigenetik ist ein Thema, das in Zukunft höchstwahrscheinlich immer wichtiger wird. Wer sich über die wissenschaftlichen Hintergründe informieren möchte, ist mit diesem Buch gut beraten. Als Leser sollte man sich aber genug Zeit für das anspruchsvolle Thema nehmen, da es ohne Vorwissen manchmal nicht einfach ist, alle komplexen Zusammenhänge direkt zu erfassen.

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