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Wissenschaft in Westeros

Die TV-Serie und Buchreihe »Game of Thrones« hat ein Jahrzehnt geprägt – und liefert darüber hinaus eine Kulisse, um Naturwissenschaften anschaulich zu erklären.

Zehn Jahre ist es inzwischen her, dass zum ersten Mal die frostig blauen Augen der Weißen Wanderer aufleuchteten, die Schattenwölfe als Welpen durch den Wald nahe Winterfell umhersprangen und der heimliche Held Hodor den späteren König Bran Stark auf seine Schultern hievte. »Game of Thrones« war das allgegenwärtige Serienereignis der 2010er Jahre, das sowohl auf Partys als auch im Feuilleton Diskussionen auslöste.

Was bleibt von der abenteuerlichen Saga?

Nach der eher dahingeschluderten achten Staffel, welche die Saga 2019 abschloss, verebbte der Hype erstaunlich schnell. Eine angekündigte Prequel-Serie betrachten viele Fans eher skeptisch, das Warten auf einen weiteren Band der Buchreihe »Das Lied von Eis und Feuer«, die der Serie zu Grunde liegt, haben nicht wenige inzwischen wegen des fortgeschrittenen Alters des Schöpfers George R. R. Martin völlig aufgegeben. Doch was bleibt von Westeros außer jeder Menge (toter) Hauptfiguren und der zum herbstlichen Running Gag verkommenen Floskel »Der Winter naht«?

Rebecca C. Thompson liefert darauf eine vergnügliche Antwort: warum nicht einfach die Geheimnisse der fantastischen Welt auf ihren Realitätsgehalt abklopfen – und damit naturwissenschaftliche Phänomene der Erde erklären? Genau das tut sie in ihrem Buch »Wissenschaft meets Game of Thrones«. Die US-amerikanische Physikerin ist Expertin für leicht verständliche Vermittlung von Wissenschaft, war sie doch mehr als zehn Jahre für die Öffentlichkeitsarbeit der American Physical Society zuständig.

Die Herausforderung, Phänomene einer Fantasy-Welt, in der Magie keine geringe Rolle spielt, auf ihren Realitätsgehalt zu prüfen, meistert sie auf äußerst unterhaltsame und anspruchsvolle Weise. Für scheinbar übersinnliche Erscheinungen findet sie kreative, aber nachvollziehbare Erklärungen und fördert dabei Überraschendes zu Tage.

So geht sie der Frage nach, warum der Winter in Westeros ein so lang andauerndes und vor allem ungewöhnlich unvorhersehbares Ereignis ist. Dafür erklärt sie zunächst ganz allgemein, was Jahreszeiten eigentlich sind, wodurch sie hervorgerufen werden und welchen Einfluss die Präzession der Erdachse darauf hat. Dann sammelt Thompson akribisch alle relevanten Informationen aus Martins Büchern und der Serie zusammen und leitet schließlich eine vernünftige Erklärung ab: Die unkalkulierbaren Jahreszeiten gehen zurück auf eine chaotische Achsenneigung des Planeten, auf dem Westeros liegt, eventuell durch den Verlust eines Mondes verursacht und den damit verbundenen Einfluss auf die Präzession der Achse des Himmelskörpers.

Auf ähnliche Weise erläutert die Autorin, wie Jon Snow die Kälte jenseits der Mauer überleben konnte, nähert sich der Neurologie und Biologie von Zombies und zeigt, wie man Weiße Wanderer tötet. Basis für die Ausführungen sind neben dem Figurenensemble und den vielen Handlungssträngen von »Game of Thrones« dabei immer ganz alltägliche Fragen, die auch auf unsere Welt zutreffen, beispielsweise: Wie fliegen Flugzeuge? Wie stellt man Stahl her? Wie funktionieren Gene? Deshalb können auch Interessierte, die sich mit Drachen und Dothraki weniger auskennen, den Band mit Gewinn lesen – zugegebenermaßen macht es jedoch vermutlich mehr Spaß, wenn man die Serie gesehen oder die Bücher gelesen hat.

Thompsons Begeisterung sowohl für Wissenschaft als auch für die TV-Serie sind auf jeder Seite spürbar. Der Plauderton, in dem sie die Leserinnen und Leser direkt anspricht, hilft dabei, komplizierte Sachverhalte zu vereinfachen. Abbildungen und Grafiken veranschaulichen komplexe Zusammenhänge, und Literaturangaben hinter jedem Kapitel liefern Hinweise zum Vertiefen. In die Übersetzung hätte etwas mehr Aufwand fließen können, doch insgesamt schafft das Buch nahezu Fantastisches, denn die Lektüre liefert einen neuen Blick – sowohl auf Westeros als auch auf die Erde.

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