Wissenschaftsjournalismus im Wandel
Mit dem Aufstieg des Rechtspopulismus hat sich bei vielen Bürger(inne)n eine ablehnende Haltung gegenüber den Wissenschaften manifestiert, konstatiert Beatrice Lugger, Leiterin des Nationalen Instituts für Wissenschaftskommunikation, in diesem Buch. Politiker wie Donald Trump und Viktor Orban ignorieren empirische Erkenntnisse, die ihnen nicht ins politische Konzept passen, und bekommen von ihren Anhängern dafür fleißig Applaus. Das ist der Ausgangspunkt dieses Werks, in dem 26 Autor(inn)en aus dem Journalismus, von Universitäten, Stiftungen, wissenschaftlichen Gesellschaften oder Ministerien das Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ausleuchten. Ihre insgesamt 24 Beiträge beschäftigen sich mit Wissenschaftskommunikation, fragen nach neuen Konzepten dafür und nach dem Verhältnis von online und offline. Die Stücke sind zumeist nicht lang und durchweg gut lesbar, obgleich recht fachnah.
Die Sehnsucht nach Gewissheiten
Die allgemeine Forderung der Autoren lautet, die Wissenschaften sollten sich intensiver darum bemühen, ihre Erkenntnisse in die Öffentlichkeit zu tragen. Die bereits vorhandenen Presseabteilungen der Forschungseinrichtungen reichen hierfür nicht mehr, so der Tenor. Vielmehr sollten Forscher selbst intensiver an öffentlichen Debatten teilnehmen – auch und gerade in den Social Media. Ein Problem dabei, auf das unter anderem die Wissenschaftsjournalistin Cornelia Varwig hinweist: Die heutigen Wissenschaften sind nicht nur komplex und schwer zu vermitteln, sondern sie liefern darüber hinaus nur relative, aber keine absoluten Wahrheiten. Ihre Gegner indes verkaufen vermeintliche Gewissheiten, nach denen sich viele Menschen sehnen. Dennoch empfehlen die Pressesprecherinnen Christina Beck und Julia Wandt, Wissenschaftler sollten sich dazu überwinden, zu twittern – auch wenn sich Tweets auf 280 Zeichen beschränken.
Das Hauptaugenmerk des Bands liegt freilich auf dem Wissenschaftsjournalismus, dem es ja nicht nur darum gehen kann, wissenschaftliche Erkenntnisse zu popularisieren, sondern diese auch kritisch zu beleuchten. Denn Wissenschaftsjournalisten entwickeln berufsbedingt eine besonders ausgeprägte Fähigkeit, wissenschaftliche Qualität zu beurteilen, so Volker Stollorz, Redaktionsleiter des »Science Media Center«.
Wissenschaftsjournalismus hätte gerade im Zeitalter von »alternativen Fakten« und organisierter Desinformation eine wichtige Aufgabe. Allerdings ist er mit dem Aufkommen neuer digitaler Medien und der allgemeinen Krise klassischer journalistischer Medien im Niedergang begriffen. Ganze Wissenschaftsredaktionen werden geschlossen oder man streicht dort fleißig Stellen, was – so der Journalist und Buchautor Christian Schwägerl – die Stimme des Wissenschaftsjournalismus »leiser und fragiler« werden lässt. Zugleich werden die Arbeitsbedingungen für Journalisten vielfach prekärer, wie der Journalist Rainer Kurlemann darlegt. Laut Henriette Löwisch von der Nachrichtenagentur AFP sollten sowohl Wissenschaftler als auch Journalisten erkennen, dass sie sich gegenseitig brauchen und keine Gegenspieler sind.
Angesichts all dessen thematisieren die Beiträge mögliche Alternativen zu heutigen Formen der Wissenschaftskommunikation – seien es neue journalistische Aktivitäten, seien es Stiftungen, von denen man hofft, dass sie den Wissenschaftsjournalismus vor allem finanziell fördern. Das geschieht bisher zu wenig, kritisiert die Pressesprecherin des Bundesverbands Deutscher Stiftungen Katrin Kowak. Und wenn sie es tun, dann oft verbunden mit bestimmten inhaltlichen Ausrichtungen, beispielsweise hinsichtlich der Klimaforschung, was dem journalistischen Selbstverständnis widerspricht.
Das lesenswerte Buch lässt sich kostenfrei herunterladen; in der Hardcover-Version kostet es € 53,49.
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