Der Wald, ganzheitlich betrachtet
Im Wald gibt es immer etwas zu erleben. Wipfel rauschen im Wind, Moos polstert den Boden, am Wegesrand sprießt ein Pilz. Hier krabbelt ein Käfer, da knacken Äste, dort zwitschern Vögel und irgendwo trommelt ein Specht. Wer dies alles nicht nur sinnlich in sich aufnehmen, sondern auch einordnen möchte, dem kann ein Blick in Wohllebens handlichen Waldführer helfen. Was wächst hier und welches Tier war das vorhin? Darauf gibt der Band Antworten.
Es handelt sich allerdings nicht um ein klassisches Bestimmungsbuch, da die Merkmalsbeschreibungen kaum in die Tiefe gehen. Auch stolpert man beim Lesen schon bald über persönliche Anreden und kritische Kommentare seitens des Autors. Peter Wohlleben, ein alternativer Förster, setzt sein Konzept einer ökologischen Waldbewirtschaftung in der Gemeinde Hümmel (Eifel) in die Praxis um. In seinem neuen Buch beleuchtet er, was die einzelnen Waldbewohner miteinander verbindet und wie stark sie aufeinander angewiesen sind. Zum Beispiel können sich die Larven des Hirschkäfers (Lucanus cervus) nur in Totholz entwickeln; in die Höhlen des Schwarzspechts (Dryocopus martius) ziehen gern Eulen, Tauben und Fledermäuse ein und aus den ungenutzten Eichel- und Buchecker-Vorräten des Eichelhähers (Garrulus glandarius) wachsen im Frühjahr neue Laubbäumchen heran.
Isegrims Schrecken
Wohlleben stellt jede besprochene Spezies in Text und Bild vor. Nachdem er jeweils die deutsche und lateinische Artbezeichnung, die Gattungszugehörigkeit und ein paar wichtige Merkmale stichpunktartig dargelegt hat, lässt er meist einen meinungsorientierten Text folgen, der Insider-Wissen vermitteln soll. Wo es im Wald nach Maggi rieche, erfahren wir beispielsweise, habe sich eine Wildschweinrotte längere Zeit aufgehalten. Auch sei unsere Furcht vor dem Wolf (Canis lupus) völlig unnötig, da dieser Beutegreifer mehr Angst vor uns habe als wir vor ihm. Wenn er in die Wälder zurückkehre, könne das Gehölz sogar besser wachsen, da er die großen Pflanzenfresser jage.
Oft räumt Wohlleben mit verbreiteten Fehlannahmen auf. Die violetten Blüten des Wald-Veilchens (Viola reichenbachiana) duften nicht, wie er schreibt, und die Blindschleiche (Anguis fragilis) sei nicht blind, sondern habe ihren Namen daher, dass sie in der Sonne blinke. Zudem sei das Bild der Roten Waldameise (Formica rufa) als Waldpolizei überholt. Als Nadelwaldbewohnerin vertilge sie nicht nur Schadinsekten, sondern leider auch seltene Arten wie den Eichenzipfelfalter.
Wer pirscht, ist gefährlich
Im abschließenden Kapitel widmet sich Wohlleben den Bäumen. Er erzählt von der Baumgemeinschaft, innerhalb derer die Mutterbäume ihren Nachwuchs über Wurzelverwachsungen mit Zuckerlösung ernähren. In diesem Abschnitt gibt Wohlleben auch Tipps, wie man sich im Wald richtig zu verhalten hat. Man soll eben nicht mucksmäuschenstill durchs Gehölz schleichen, wie mancher Naturromantiker rät, weil dies Wildtiere in Panik versetzen kann: Diese fürchten sich vor tierischen und menschlichen Jägern, die auf leisen Sohlen unterwegs sind.
Nach der Lektüre des Buchs hat man eine neue Sicht auf die Waldbewohner gewonnen. Wohlleben nimmt uns tiefer mit ins Unterholz als manch anderer Autor, denn er wendet sich den Tieren und Pflanzen nicht separat zu, sondern sucht den Wald stets ganzheitlich zu ergründen. Dabei macht er vor uns Menschen nicht Halt – sind wir doch verantwortlich dafür, dass es heute vielerorts Fichtenplantagen statt Buchenwald gibt und fast keine naturnahen Altwälder mehr, weil die meisten Bäume vor der Mitte ihres Lebens gefällt werden. Wohlleben kritisiert die moderne Forstwirtschaft und lässt auch die Jäger nicht ungeschoren davonkommen. Sie hätten durch Fütterung die Wildbestände massiv erhöht und möglicherweise Waschbären sowie Damwild ausgesetzt, um Jagdreviere attraktiver zu gestalten. Auch weist er auf Probleme hin, die sich mit eingeschleppten, nicht-endemischen Arten wie der Gewöhnlichen Douglasie (Pseudotsuga menziesii) verbinden. Wohlleben verdeutlicht sehr gekonnt, was das alles für das Ökosystem Wald, den Boden und die Artenvielfalt bedeutet.
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