Direkt zum Inhalt

»Wolfszone«: Monsterwölfe in Brandenburg

Christian Endres kennen »Spektrum«-Leser als Autor von Kurzgeschichten der Sciencefiction-Rubrik »Futur III«. Sein Roman entführt uns nun in eine düstere Zukunft.

»Die Wölfe beherrschen Berlin.« Ein kurzer Satz mit nur vier Wörtern – und schon ist man mittendrin in Christian Endres' schaurigem Cyberthriller, der in einer nahen, unbestimmten Zukunft in Deutschland spielt. Privatdetektiv Joe Denzinger hat gerade in einem dämmrigen Berliner Parkhaus einen Softwaredieb an seine obskuren Auftraggeber ausgeliefert, als ihn per Telefon ein neuer Auftrag erreicht. Der Protagonist erinnert wohl nicht zufällig an die vom US-amerikanischen Schriftsteller Raymond Chandler geschaffene Figur Philip Marlowe – jenen Prototyp des hartgesottenen Ermittlers mit weichem Kern, der als »einsamer Wolf« (dazu später mehr) in einer feindseligen Umwelt agiert und der einst von Humphrey Bogart so herrlich zynisch verkörpert wurde.

Joes neuer Job klingt eigentlich harmlos: Er soll die verschwundene Tochter einer Großindustriellen wiederfinden, die sich als Ökoaktivistin in der brandenburgischen Provinz herumtrieb. Dort ist allerdings die Hölle los. Mutierte Monsterwölfe, die als Raubtier-Maschinen-Mischwesen aus einer Umweltkatastrophe hervorgegangen sind, werden in einer Sperrzone von der Bundeswehr umstellt, während im politischen Berlin um deren Zukunft gestritten wird. Zu den Figuren des Romans gehören: ein Berufssoldat, der als ehemaliger syrischer Flüchtling den Rassismus seiner Kameraden ertragen muss; eine Evolutionsbiologin, die als wissenschaftliche Beraterin in den Konflikt zwischen Armee und Tierschutz gerät und gleichzeitig versucht, ihre Beziehungsprobleme zu lösen; eine Fahrradkurierin, die sich als Drogenschmugglerin auf heikle Aufträge einlässt; und eine Cyberkreatur, die nun wirklich als »einsamer Wolf« umherirrt und ihre Seelenqualen offenbart. All diese Figuren beeinflussen das Schicksal der vermissten Ökoaktivistin. Doch der Privatdetektiv findet lange keine Spur von ihr – bis schließlich alles in einen martialischen Showdown mündet.

Cyberwesen dank Hightech-Müll

Mit »Wolfszone« ist Christian Endres ein faszinierender Roman gelungen. Geschickt verknüpft er Themen unserer Zeit: Umweltkrise, künstliche Intelligenz und die Spaltung der Gesellschaft. Auch wenn die Handlung nicht frei von Klischees verläuft – wie etwa dem Verhalten der sensationslüsternen Pressemeute –, bleibt der Leser bis zur letzten Seite gefesselt. Mit knappen Sätzen und schnittigen Dialogen, gespickt mit Wortwitz und einer zum Teil deftigen Sprache, erzeugt der Autor ein spannendes Kopfkino, das zwischen ruhigen Einstellungen und temporeicher Action hin und her wechselt. Für den Plot ließ sich Endres, seit vielen Jahren Autor der »Spektrum«-Rubrik »Futur III«, von seiner Kurzgeschichte »Wer hat Angst vorm bösen W@lf?« inspirieren, nachzulesen unter spektrum.de/artikel/1838797. In »Wolfszone« gönnt er einem »Spektrum«-Redakteur sogar einen kurzen Gastauftritt.

Die Idee von den Cyberwesen, die dem Hightech-Müll entsprungen sind, mag weit hergeholt und wirklichkeitsfremd klingen – das Umfeld, in dem ihre Geschichte spielt, ist es nicht. Endres entwirft dabei kein vollständig dystopisches Bild, sondern zeigt eine Gesellschaft, die sich an die Klimakatastrophe gewöhnt und sich mit deren beiläufig erwähnten Konsequenzen wie unerträglicher Hitze, Wasserrationierung oder Überflutungen irgendwie arrangiert hat. Klimaschutzmaßnahmen wie Ökostrom oder Tempolimit, die in Endres' Zukunftsvision selbstverständlich geworden sind, scheinen zu spät gekommen zu sein. Das wirkt erschreckend real: Nicht erst in Endres' Sciencefiction-Welt, sondern bereits heute hat der Klimawandel katastrophale Folgen. Doch noch haben wir es in der Hand, dass die Welt, in der »Wolfszone« spielt, nicht Wirklichkeit wird.

Kennen Sie schon …

Spektrum - Die Woche – Wie Computer das Lernen lernen

Die Nobelpreise in Medizin oder Physiologie, Physik und Chemie sind vergeben! Erfahren Sie, wie bahnbrechende Forschungen zu microRNA, neuronalen Netzen und Proteinen die Welt verändern.

Spektrum - Die Woche – Warum soziale Medien weniger gefährlich sind, als wir denken

Spektrum - Die Woche – Die Intelligenz des Lebens

Können Pflanzen, Pilze und Zellen denken? Die Diskussion um »minimal intelligence« fordert uns heraus, das Verständnis von Kognition zu überdenken und unsere Ansätze in vielen Lebensbereichen zu verändern. Lesen Sie mehr zu diesem Thema in der aktuellen Ausgabe »Spektrum - Die Woche«.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.