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Roms Grenze im Orient

Truppenreduzierung und militärisches »Outsourcing«: Über die Jahrhunderte hinweg verringerte Rom seine Präsenz an der Ostgrenze.

Von allen Regionen, in denen Rom vor mehr als 2000 Jahren seinen Fußabdruck hinterlassen hat, nimmt der Vordere Orient eine herausragende Stellung ein. Seine materiellen Hinterlassenschaften künden noch heute von Städten im hellenistischen Osten, die einst blühten (Palmyra, Petra, Gerasa), sowie von imposanten Wehranlagen am Rande der Wüstensteppe. Sie schützte zwischen dem ersten und siebten Jahrhundert n. Chr. ein ausgeklügeltes Verteidigungssystem, das sich von Aila am Roten Meer über Palmyra zum Euphrat und über den Khabur und Tigris bis nach Armenien erstreckte. Der Mainzer Provinzialarchäologe Hans-Peter Kuhnen widmet sich in seinem reich bebilderten Buch dem südlichen Grenzabschnitt des Orientlimes, dessen strategisches Rückgrat die römischen Provinzen Judaea und Arabia bildeten – das heutige Israel und Jordanien.

Beginnend mit den Anfängen der Orientforschung im späten 19. Jahrhundert gibt Kuhnen einen historisch-archäologischen Überblick über den römischen Limes im Orient. Anhand neuester archäologischer Forschungen erläutert er, was dessen Grenzarchitektur besonders machte. Anders als in Europa, wo Wall und Graben die Grenze markierten, war an der Wüstengrenze des Vorderen Orients keine geschlossene Befestigungslinie erforderlich. Vielmehr richtete sich die Grenzverteidigung danach, wie mobil die in dieser Region lebenden Bevölkerungsgruppen waren, sowie nach den geografischen und klimatischen Gegebenheiten. So entstanden besonders in der spätrömischen Zeit (ab 284 n. Chr.) zahlreiche Kleinkastelle in wasserarmen Gebieten, die dazu dienten, Verkehrsknoten und Wasserstellen entlang möglicher Invasionsrouten zu überwachen. Ein Netz von Türmen sicherte zudem die Kommunikation: Mit Rauch und Feuersignalen benachrichtigte man bei Gefahr die Legionen im Hinterland. Dank einer gut ausgebauten Infrastruktur konnten die Truppen auf bis zu sechs Meter breiten Allwetterstraßen schnell heranrücken.

Weniger Soldaten, aber wehrhaftere Verteidigungsanlagen

Wegen des zunehmenden Drucks auf die Reichsgrenzen und im Zuge der diokletianischen Heeresreform kam es gegen Ende des 3. Jahrhunderts zu einem Wandel im römischen Militär. Er äußerte sich in einer »personellen Auffächerung« in kleinere, mobilere Verbände, aber auch in der Militärarchitektur. Überzeugend weist Kuhnen nach, dass sich die Verringerung der Besatzungstruppen in den Militärlagern in der reduzierten Größe der Wehranlagen spiegelte. Die Mannschaften schrumpften um bis zu 30 Prozent, verglichen mit der Prinzipatszeit (2./3. Jh. n. Chr.). Die kompakteren Verteidigungsanlagen mit weniger Toren und weit aus den Mauern ragenden Türmen waren allerdings wehrhafter als die früheren, was sowohl bei den Kastellen (Qasr Bushier, Qasr Hallabat) als auch bei den Legionslagern (Lejjun, Udruh) zum Ausdruck kommt.

Geradezu zum Markenzeichen der spätantiken Festungsarchitektur avancierte das Quadriburgium (»Viertürmeburg«), ein neuer, gedrungener Kastelltyp. Er war durch massive Mauern mit heraustretenden viereckigen Ecktürmen sowie durch Baracken an den Innenseiten der Kastellmauern gekennzeichnet. Diese kleinen, weit vorgerückten Posten, die neben dem Überwachen auch zum Erheben von Abgaben und Steuern dienten, verdeutlichen Kuhnen zufolge den Charakter des Limes Arabiae et Palaestinae als »politisch-administrative Grenze«. Zugleich ist an ihnen sehr gut der Kontrast zur linearen Grenzbefestigung im Nordwesten des Reichs sichtbar.

Ein weiteres Phänomen der geänderten römischen Sicherheitspolitik im Orient war die um sich greifende Praxis, die Verteidigung kleinerer Wehranlagen nicht mehr wie bisher mit eigenen Truppen zu gewährleisten, sondern an einheimische Kontingente zu übertragen – etwa an arabische Stammeshäuptlinge, so genannte Phylarchen, im Rahmen von Schutzbündnissen (foedera). Gegen jährliche Soldzahlungen aus Rom übernahmen diese foederati alle Sicherheitsaufgaben nach innen und außen und verteidigten das Reich sowohl gegen die Nomaden im Süden des Landes als auch im Norden gegen die Sassaniden. Dieses »militärische Outsourcing« bestand bis zur arabischen Eroberung 640 n. Chr.

»Wüstengrenze des Imperium Romanum« ist ein sehr lesenswertes Buch. Anschaulich und kompetent bettet der Autor die einzelnen Wehranlagen des Limes Arabiae et Palaestinae in den historischen Hintergrund ein. Pläne und Bodenaufnahmen zu allen wichtigen Limesstätten verdeutlichen deren Funktion, Übersichtskarten vermitteln größere räumliche Zusammenhänge. Kuhnen erfüllt das Ganze mit Leben, indem er den epigraphischen Befund (In- und Aufschriften auf verschiedenen Materialien) heranzieht, der interessante Einblicke in den Alltag der Lagerbesatzungen eröffnet. So entsteht vor dem Auge des Lesers ein umfassendes Bild von der Verteidigungskonzeption des römischen Orientlimes und davon, wie Rom mehr als ein halbes Jahrtausend lang seine Ostgrenze zu sichern vermochte.

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