Kultur des Kuschelns
Zärtlichkeit ist in der zeitgenössischen Philosophie kein besonders häufiges Thema. Umso erfrischender, dass die italienische Philosophin Isabella Guanzini sich ihrer in diesem Buch annimmt. Das Werk ist in zehn Kapitel und drei Fallstudien untergliedert. Der erste Teil fragt nach der Stellung der Zärtlichkeit in der heutigen Welt. Dafür betrachtet die Autorin das Leben in Metropolen, um Zärtlichkeit in absentia zu studieren – und listet dabei die üblichen »Bösewichter« wie Konsum und Digitalisierung auf. Im zweiten Teil geht es um die Zärtlichkeit als Königsweg aus einer gefühlsarmen Zeit.
Die Autorin hat eine kulturpessimistische Sicht auf die Welt, die sich in einigen treffenden Beobachtungen zur Zersplitterung der Gesellschaft, zur sinnentleerten Moderne und zur Gefühlskälte unserer Zeit äußert. Guanzini ergänzt das sowohl mit Beispielen aus literarischen Werken als auch mit Verweisen auf aktuelle Geschehnisse, zum Beispiel auf die Migration über das Mittelmeer.
Drohendes Pathos
»Über Zärtlichkeit zu schreiben, ist eine Gratwanderung. Man läuft ständig Gefahr, in einen pathetischen Ton zu verfallen.« Mit diesen Sätzen beginnt das Werk; wie wahr sie sind, erfahren die Leser keine fünf Zeilen später: »Über Zärtlichkeit zu sprechen, berührt sensible Punkte, weckt uralte Gefühle, beschwört das elementare Leben von Körper und Seele in seiner ganzen Intensität herauf.« Leider wimmelt das Werk von solchen leeren Worthülsen und abgegriffenen Metaphern. Es erinnert an eine ausufernde Predigt und liest sich zwar angenehm, bietet aber kaum belastbare Aussagen oder Thesen. Das ist schade, hat der Band doch durchaus gute Gedankengänge zu bieten, etwa zum Verstecken der Zärtlichkeit im Privaten.
Methodisch ist das Werk schwer zu fassen. Am ehesten lässt es sich als emotionale Annäherung beschreiben. Die Autorin hält eine strikt philosophische Systematik für veraltet und lehnt sie ab, was es allerdings bisweilen erschwert, ihren Gedanken zu folgen. Begriffe wie »Kraftvektoren des Glaubenszeugnisses« definiert sie weder noch erklärt sie sie. Auch den Begriff der Zärtlichkeit selbst nicht, da er rational nicht vollends zu fassen sei. Somit bleibt er nebulös.
Guanzini beruft sich auf diverse Poeten und Philosophen, zum Beispiel auf Friedrich Wilhelm Nietzsche, Walter Benjamin oder Theodor Adorno. Das wirkt auf Dauer allerdings wenig originell. Auch ihr Aufruf zur Entschleunigung ist nicht neu. Zentrale Fragen, etwa wie Zärtlichkeit unseren Alltag mit Sinn und Leben füllen kann, bleiben unbeantwortet. Damit verpasst Guanzini die Chance, den Bogen zu den Problemen unserer Zeit zu spannen.
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