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Für immer offline

Der Internetpionier Jaron Lanier plädiert dafür, sich von sozialen Netzwerken abzumelden.

Der Datenskandal um Facebook und die Analysefirma »Cambridge Analytica« hat einmal mehr vor Augen geführt, dass Online-Identitäten zu handelbaren Gütern verkommen sind. Brian Acton, Gründer des Kurznachrichtendienstes »Whatsapp«, den Facebook 2014 für 19 Milliarden Dollar übernommen hatte, rief die Leute dazu auf, ihre Facebook-Accounts zu löschen. Unter dem Hashtag #deletefacebook formierte sich im Netz rasch eine Protest-Community.

Der Internetkritiker Jaron Lanier stößt nun in dasselbe Horn. In seinem neuen Buch plädiert er für einen sofortigen Ausstieg aus den so genannten sozialen Netzwerken. Social Media, schreibt Lanier, untergraben die Wahrheit, machen empathielos und fördern prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Für seine Generalabrechnung hat der Autor eine Abkürzung kreiert, die so lautmalerisch wie bedrohlich klingt: BUMMER. Das steht für »Behaviors of Users Modified, and Make into an Empire for Rent«, auf Deutsch so viel wie: Verhaltensweisen von Nutzern modifiziert, und daraus ein Reich zum Vermieten gemacht.

Spielwiese für Egozentriker und Süchtige

Für Lanier sind Konzerne wie Facebook, Google oder Twitter »Manipulations-Imperien«, die Menschen wie Hunde in Käfigen halten und mit virtuellen Reizen bestimmte Verhaltensweisen auslösen. Ein System, das laut dem Autor auf totaler Überwachung und einem »perversen« Geschäftsmodell gründet. Lanier spart nicht mit vulgären Begriffen wie »Arschloch-Herrschaft«. Darunter versteht er ein System, das Menschen über perfide Belohnungsmechanismen zu Egoisten und Süchtigen macht.

Lanier ist nicht irgendwer. Der Internetpionier hatte – wie so viele seiner Mitstreiter, die aus der Hippie-Szene kommen – einst die Vision, das World Wide Web zu einer Cyberagora zu machen. Nun stellt er ernüchtert fest, dass einige wenige Konzerne den virtuellen Raum okkupiert haben und ihre Reviere wie absolutistische Herrscher abstecken. Manches, was er schreibt, ist nicht neu, etwa die Kritik am Filterblaseneffekt oder am Behaviorismus. Anderes ist blanke Polemik. Der Autor hat schon analytisch schärfere Bücher geschrieben, beispielsweise »Gadget – Warum die Zukunft uns noch braucht« (2010). Trotzdem haben seine Thesen Autorität. Lanier gilt als Wegbereiter der virtuellen Realität, er kann wie kein Zweiter die Manipulationspotenziale der Internettechnologien einschätzen, und er kennt das libertäre Mindset des Silicon Valley, das sich damit verschwistert. Sein neues Werk ist darum als Manifest oder Kampfschrift gegen den Techno-Utopismus zu verstehen.

Der Autor meint, die sozialen Netzwerke hätten bei der Wahl »autoritär angehauchter Führer« in demokratischen Staaten wie der Türkei, Österreich und den USA eine wichtige Rolle gespielt: durch Fake News, Shitpots und Hassbotschaften. Lanier widerspricht der These, wonach sich mit der Verbreitung des Internets Demokratien wie in einem Dominoeffekt etablieren (vertreten etwa von Eric Schmidt und Jared Cohen in ihrem Buch »Die Vernetzung der Welt«, 2013). Der so genannte Arabische Frühling, dessen Proteste als »Twitter- und Facebook-Revolutionen« apostrophiert wurden, belegt das Gegenteil. Laniers Bilanz fällt rückblickend ernüchternd aus: »Wie immer bestand die Leistung von Social Media auch damals darin, dass sie Illusionen schufen: dass man die Gesellschaft durch bloßes Wünschen verbessern könne, dass in harten Machtkämpfen immer die Vernünftigsten siegen und sich materieller Wohlstand dann schon ganz von selbst einstellen würde.«

Es lässt sich trefflich darüber streiten, ob man seine Social-Media-Accounts löschen soll. Doch diese provokative Forderung ist für Lanier bloß der Aufhänger für eine Gesellschaftskritik am Silicon Valley. Am stärksten wird seine Analyse, wenn er vor einer numerokratischen Herrschaft warnt: »In vielen dystopischen Sciencefiction-Romanen gibt es ein böses Imperium, in dem Namen durch Zahlen ersetzt worden sind. Auch in echten Gefängnissen bekommen die Häftlinge eine Nummer verpasst. Das hat einen einfachen Grund: Zur Nummer zu werden bedeutet, ausdrücklich einem Herrschaftssystem unterworfen zu sein. Eine Nummer ist eine öffentliche Bescheinigung über reduzierte Freiheit, niedrigen Status und eingeschränktes Menschsein.« Diese Kritik ist auch biografisch begründet. Laniers Mutter überlebte ein Konzentrationslager der Nazis, sein jüdischer Vater musste vor Pogromen fliehen.

Der Autor, der 2014 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde, ist einer der brillantesten Internetkritiker der Gegenwart. Seine Worte haben Gewicht. Und es ist wünschenswert, in der Digitaldebatte noch mehr von ihm zu lesen.

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