Pest in Genua, tödliche Pilze und Quantenphysik
In Genua bricht die Pest aus, resistenter und aggressiver als im Mittelalter – zumindest im Buch »Patient Null« des kanadischen Notfallmediziners Daniel Kalla, der 2003 Mitglied einer Task-Force zur Bekämpfung der Sars-Epidemie war. Auch wenn sich in der fiktiven Geschichte weniger Menschen mit der Pest infizieren als in der realen Covid-19-Pandemie, finden sich erschreckend viele Parallelen zur aktuellen Lage: Massendemonstrationen, Menschen mit Mundschutz, die Verfolgung von vermeintlich Schuldigen, eine in Brand gesetzte Moschee. Inmitten des Geschehens suchen Mediziner in Kallas hochspannendem Werk verzweifelt nach der Quelle des Ausbruchs, um ein Gegenmittel zu finden, denn »in der Stadt geht die Geduld zur Neige«.
Im Neurologie-Thriller »Öffne die Augen« vom französischen Ingenieur Franck Thilliez ist ein Sammler alter Kinofilme außer sich vor Freude. Er entdeckt in einem Nachlass zahlreiche Raritäten: Filmrollen mit alten Klassikern sowie einen unbekannten Kurzfilm. Zu Hause angekommen, sieht er sich seinen Fund neugierig in einem privaten Vorführraum an – doch nach dem Kurzfilm erblindet er plötzlich.
Um einen Wissenschaftler, der 1946 auf ein Kriegsschiff beordert wird, geht es dagegen im Biologie-Thriller »Spirale« des US-amerikanischen Physikers Paul McEuen. In dem Werk muss der Forscher mit ansehen, wie vier amerikanische Seeleute in einem Rettungsboot um Hilfe flehen. Als sie sich dem Schiff nähern, schießen ihre Landsleute sie jedoch gnadenlos ab, denn sie sind mit einem tödlichen Pilz infiziert, der droht, die Menschheit zu vernichten.
Sieben Autoren, sieben Themen
In sieben Romanen widmen sich sieben Autoren jeweils einem wissenschaftlichen Thema: von Genetik, Physik, Meteorologie über Biologie, Informatik, Neurologie bis Medizin. Sie beschreiben dabei fiktive Szenarien: Was würde geschehen, wenn Menschen das Wetter manipulieren könnten oder in der Lage wären, Filme zu produzieren, die beim Betrachten das Gehirn verändern? Wie sähe eine Welt aus, in der man gentechnisch optimierte Übermenschen erschaffen oder durch Parallelwelten tunneln könnte? Darüber hinaus beschäftigt sich der US-amerikanische Journalist David Ignatius mit erfindungsreichen Spionen, welche die Technologie von Quantencomputern ausspähen, während McEuen sogar zwei Themen abdeckt: Nanoroboter und Pilze, die aus Menschen tödliche Biowaffen machen.
Die sieben Autoren verpacken die wissenschaftlichen Inhalte in einen spannenden Thriller und wagen sich dabei ein Stück weit in die nahe Zukunft. In einigen Werken steht mal die Wissenschaft stärker im Fokus, mal die Kriminalgeschichte. Dabei sind die Bücher nicht nur interessant und kurzweilig, sie sind zudem gut recherchiert, wobei manche Geschichten realitätsgetreuer ausfallen als andere. Das bezeugt ein abschließender Qualitätscheck.
Denn das macht die Buchreihe zu etwas ganz Besonderem: ein jeweils kurzer, rund zehnseitiger Faktencheck, der am Ende jedes Romans die Frage stellt: Stimmt's? Journalisten der Zeitschrift »Zeit« haben kontrolliert, ob die Inhalte korrekt dargestellt sind. Einmal merken sie akribisch an, die beschriebene Technik sei wohl frühestens in 300 Jahren verfügbar, ein anderes Mal prüfen sie jedes einzelne Gadget sorgfältig auf ihren Wahrheitsgehalt und führen aktuelle Studien dazu auf. Leider findet man an gewissen Stellen auch eine reine Wiederholung der Informationen, die man gerade gelesen hat.
Ein besonderes Lob verdient das Buch »Spirale« von McEuen, ein Roman, der es in die aktuelle Edition geschafft hat, obwohl er bereits vor zehn Jahren erstmals erschien. Der Autor, ein ausgewiesener Experte auf dem Gebiet der Nanotechnologie und Professor für Physik, hat nicht nur ein fesselndes Horrorszenario um einen tödlich wirkenden Mikropilz entworfen. Er überlegte sich zudem fachlich versiert zahlreiche zukünftige Technologien, die tatsächlich Jahre später verwirklicht wurden: Elektronik, die auf Kohlenstoff basiert, im Menschen implantierte GPS-Tracker oder Nanodrohnen und Miniroboter, die ihren eigenen Energiebedarf decken.
Es ist die Welt des Kleinen, die den Autor fasziniert. Dabei verspricht sie nicht nur Nutzen, sondern birgt ebenso Gefahren, wie McEuen verdeutlicht. Tatsächlich sei ein tödlicher Pilz etwas Neues, urteilt der Faktencheck, denn sonst seien es eher Viren und Bakterien, die uns in Büchern und Filmen bedrohen. Allerdings wäre sehr viel Forschung nötig, um einen solchen pathogenen Killer zu entwickeln. Daher käme die Gefahr in Zukunft wohl doch eher aus einer anderen Richtung, so der »Zeit«-Journalist.
Schreibtalent beweisen alle Autoren, unter denen sich ein Außendienstler, ein Notfallmediziner, zwei Wissenschaftler und drei Journalisten finden. So vielfältig ihr Hintergrund ist, alle Autoren sind männlich. Auch in früheren Editionen fanden sich nur selten Frauen. In den Romanen tauchen Protagonistinnen dagegen auf. Häufig helfen sie dabei, die Welt zu retten – als mutige Sekretärin, als intelligente Wissenschaftlerin, einmal als »Büromaus«, die zur Kommissarin wird, oder gar als US-Präsidentin. Sie sehen dabei »fabelhaft« aus oder sind zierlich. Meist schützen sie kleine Kinder und stellen sich dafür sogar Profi-Killern in den Weg. Die Männer in den Romanen sind hingegen von »stattlichen Statur« oder haben den Blick eines »alten Kriegers«, in die sich die gut aussehenden Frauen verlieben.
Jenseits solcher Geschlechterstereotype lernen die Leser relevante Zukunftstechnologien und wissenschaftliche Zusammenhänge ganz nebenbei kennen. Dabei schwingt bei allen Werken eine Warnung mit: Zu welchem Ergebnis eine neue Technologie führt – ob eine schöne neue Welt oder ein Horrorszenario –, hängt stets davon ab, wie die Gesellschaft sie einsetzt.
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