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Die neuen Drogen

Psychologe Adam Alter bescheinigt digitalen Technologien ein hohes Suchtpotenzial.

Ein Zitat aus dem Buch prägt sich besonders ein: »Never get high on your own supply«, auf Deutsch »Nimm niemals die Droge, die du selbst verkaufst«. Es stammt von Michelle Pfeiffer aus dem Thriller »Scarface«, in dem sie eine kokainabhängige Frau spielt. Der Satz gebe die Grundregel jeden Drogendealers wieder und – so die überraschende Aussage des Autors und Psychologen Adam Alter – offenbar auch die Devise der einen oder anderen Führungskraft von Technikkonzernen. Alter nennt als prominentestes Beispiel Steve Jobs, der angeblich stets versuchte, seine Kinder vom iPad fernzuhalten. Denn Geräte wie Tablets, Smartphones oder Computer machten ebenso süchtig wie bestimmte Substanzen, schreibt der Professor für Marketing an der Stern School of Business der New York University.

Besonders Kinder seien gefährdet, da sie viel leichter Süchte entwickelten als Erwachsene. Wegen der ausufernden Beschäftigung mit interaktiven Geräten verpassten sie es, wichtige Fähigkeiten zu erwerben. Zwar räumt Alter ein, man wisse noch nicht genau, wie sich die ständige Präsenz dieser noch relativ jungen Technik auf die Kindesentwicklung auswirke, gleichwohl gebe es jetzt schon genügend Hinweise darauf, dass grundlegende geistige Kompetenzen beeinträchtigt werden – etwa Einfühlungs- und Konzentrationsvermögen bis hin zu Gedächtnisleistungen.

Suchtgefahr überall

Nicht nur für Heranwachsende ist das digitale Zeitalter eine große Herausforderung. Alter glaubt, kein Mensch sei vor einer Abhängigkeit gefeit, sofern das konsumierte Produkt ausreichend Suchtpotenzial aufweise. Dass dem so ist, dafür sorgen »Technologie-Dealer«, die ihre Werke entsprechend gestalten. So kann man in Internet-Videospielen nur mit großem Zeitaufwand erfolgreich sein. Computergames arbeiten mit ausgeklügelten Belohnungsstrategien, die zum endlosen Weiterspielen verleiten. Serien enthalten stets einen Cliffhanger, und die nächste Folge startet bei Streaming-Diensten wie Netflix ganz automatisch. Und beim Onlineshopping provozieren ausgefeilte Angebotsstrategien dazu, permanent Dinge zu kaufen, die man nicht benötigt. Glücksspiel, Facebook, Instagram, Fitnesstracker, Smartphone-Apps, Internetpornografie – die Liste der digitalen »Genüsse« mit hohem Suchtpotenzial ist laut Alter nahezu endlos.

Der Psychologe spricht deshalb vom Zeitalter der Verhaltenssüchte. Die Abhängigkeiten breiteten sich momentan rasant aus und könnten bald zu einem schwer wiegenden gesellschaftlichen Problem werden. Bereits heute leiden laut einer wissenschaftlichen Übersichtsarbeit rund 40 Prozent der Menschen an mindestens einer Verhaltenssucht. Da sie vergleichbare Symptome zeigen wie Drogensüchtige und ihr Gehirn auf ganz ähnliche Weise reagiert, unterscheiden manche Wissenschaftler mittlerweile nicht mehr zwischen Drogen- und Verhaltensabhängigkeiten. Vielmehr sei Sucht immer eine Strategie, negative Emotionen zu bewältigen, so Alter. Der Geist lerne, dass entweder bestimmte Substanzen oder eben Verhaltensweisen psychischen Schmerz beseitigen – zumindest kurzfristig. In dieser Erkenntnis liegt aber auch eine gewisse Hoffnung: Wir können uns aktiv für andere Wege entscheiden. Damit das gelingt, benötigen wir jedoch Unterstützung. Der Autor plädiert daher für eine »nachhaltige Produktentwicklung«, um die Sucht erzeugende Wirkung der Technologien abzuschwächen. Daneben brauche es in unserer Gesellschaft genügend Raum für bildschirmfreie Zeiten.

Dass Alter regelmäßig über seine Arbeit schreibt, unter anderem für Zeitungen wie die »New York Times« oder das »Wall Street Journal«, merkt man dem Werk an: Das Sachbuch ist verständlich und über weite Strecken unterhaltsam geschrieben. Wie für einen Wissenschaftler üblich, stützt er seine Aussagen und Thesen auf Forschungsergebnisse, verliert dabei allerdings nie den Leser aus dem Blick und bleibt seinem anschaulichen Stil stets treu. Das Zitat »Ein super süchtig machendes Buch« des Journalisten Malcolm Gladwell auf dem Einband wirkt allerdings fehlplatziert. Das Werk ist nicht gerade unwiderstehlich, aber durchaus eines, das man bisweilen nur ungern zur Seite legt. Es ist allen zu empfehlen, die sich ausführlicher mit den Gefahren digitaler Technologien und dem Wesen der Verhaltenssucht auseinandersetzen möchten.

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