Darwin und die Anstifter. Die neuen Biowissenschaften
Charles Darwin hat seine Evolutionstheorie keineswegs nur mit empirischem Material begründet. Er griff auch auf bevölkerungspolitische und sozialwissenschaftliche Theorien sowie die Erfahrungen der Tier- und Pflanzenzüchter zurück. Diese Mosaikstruktur der Evolutionstheorie erleichterte es später Vertretern vieler Ideologien, den Darwinismus für ihre Ziele in Richtung Eugenik, Politik, Arbeitsorganisation oder Religion zu vereinnahmen. Mit dieser "Archäologie des Darwinismus" eröffnet Thomas Weber, Spezialist für theoretische evolutionäre Ökologie an der Universität Lund (Schweden), das vorliegende Buch. In dem folgenden, sehr knapp gehaltenen Teil über Soziobiologie und evolutionäre Psychologie misst er diese Theorien an ihrem Absolutheitsanspruch für die Erklärung gesellschaftlicher Verhältnisse und kommt zu dem Ergebnis, dass sie diesem Anspruch nicht gerecht werden. Angesichts der aktuellen Renaissance soziobiologischer Schriften ist Webers Kritik ein wichtiger Beitrag zur Debatte um die Auswirkung biologischer Theorien in der Gesellschaft. Die knappe Darstellung der Argumente und der zähe Stil machen diesen Abschnitt jedoch zu einem Fremdkörper in dem ansonsten angenehm zu lesenden Buch. Der letzte Hauptteil des Buches ist der aktuellen Debatte um Gene, Gentechnik und daraus entwickelten Zukunftsvisionen gewidmet. Weber warnt vor einem Determinismus, der den Menschen zur "Genmaschine" erklärt, und zeigt auf, dass dessen Vertreter sich nur auf "sichere Tatsachen" berufen können, indem sie die Lücken der genetischen und entwicklungsbiologischen Kenntnisse zudecken. Das Mosaik der allgemeinverständlichen, historischen und aktuellen Essays lässt selten das Gefühl aufkommen, alles sei bereits geklärt, und weckt so Interesse für eine intensivere Beschäftigung mit den angeschnittenen Fragen. Weber hat dafür auch einen bibliografischen Anhang bereitgestellt, allerdings mit mangelnder Sorgfalt. So beklagt er, es sei ihm "nicht gelungen, über Etienne Geoffroy St. Hilaire weitere Sekundärliteratur zu finden"; dabei hätte er nur in der von ihm zitierten "Geschichte der Biologie" von Ilse Jahn nachzuschauen brauchen, um auf die von Eric Salf verfasste zweibändige (französischsprachige) Biografie Geoffroy St. Hilaires zu stoßen, des Zoologen, der Napoleon in Ägypten begleitete und Gegenspieler von Georges Cuvier im Pariser Akademiestreit war. Der Autor erhebt "keinen Anspruch auf Originalität. Ich versuche, verschiedene alte und neue Deutungen des Materials in einem Gesamtbild zu vereinen, das helfen soll, einige Themen moderner Debatten zu verstehen." Dies ist ihm gelungen – ein verdienstvolles Unterfangen schon wegen der heftigen Diskussion um die Biotechnologie. Aber auch der Darwinismus hat sich noch keineswegs überall herumgesprochen. "Die Welt ist voller Schrecken und voller Schönheit. Alles ist in ihr wohl geordnet, und nichts ohne Sinn. Daraus webt sich der Teppich des Lebens." Dieses Zitat stammt nicht von Naturtheologen des 18. Jahrhunderts, sondern aus einem Werbefilm des Bertelsmann-Verlages, mit dem auf der Expo 2000 im "Planet of Visions" für die Zukunftsgestaltung dieser Erde geworben wurde. Gegen diese vordarwinistische Form der Indoktrinierung kann nur umfassende und weit verbreitete Information helfen. Das Buch von Thomas P. Weber ist hierzu ein wichtiger Beitrag.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.