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Vom Greifen zum Begreifen

Es war ein entwicklungsgeschichtlich langer und mühsamer Weg hin zum heutigen Menschen. Einen Teil dieses Weges schreitet nun der Zoologe Adolf Heschl in seinem humorvoll geschriebenen Sachbuch "Darwins Traum. Die Entstehung des menschlichen Bewusstseins" gemeinsam mit seinen Lesern ab. Dabei gewährt er überraschende Einblicke in das Sozialverhalten und die kognitiven Leistungen unserer näheren und entfernteren Verwandten im Tierreich.

Heschl schildert in der ersten Hälfte seines gut lesbaren Buches, wie sich die Primaten im Laufe der Evolution immer mehr ihres eigenen Körpers bewusst werden. Als sich die Schnauzen der Halbaffen hin zu den echten Affen verkürzten, gerieten die eigenen Hände plötzlich in den Blick der Tiere. Somit waren sie endlich in der Lage, gezielt ihre Greifwerkzeuge visuell zu steuern. Aus dem Greifen wurde ein "Begreifen" der Dinge. Erstmals konnten sie mehrere Dinge vergleichen, bevor sie entschieden, nach welchen sie griffen.

Der nach Heschl möglicherweise bedeutendste Entwicklungsschritt in der Geschichte der Primaten vollzieht sich dann bei den Menschenaffen: Sie erheben sich auf zwei Beine, und mit ihrem noch weiter abgeflachten Gesicht vermögen sie nun ihren gesamten Körper bewusst zu kontrollieren. Bewusstsein ist für Heschl übrigens keineswegs ein Nebenprodukt der Evolution – im Gegenteil: Es entstehe immer genau dann, wenn ein Lebewesen zwischen verschiedenen Möglichkeiten abwäge, um erfolgreich zu sein. Überhaupt ist nach Meinung des Autors der Selektionsdruck der entscheidende Auslöser für jede Anpassungsleistung. Gerade weil die frühen Hominiden unter größerem ökologischem Druck standen als andere Menschenaffen, wurde der Mensch zu dem, was er heute ist.

Den eigentlichen Beginn der Menschwerdung beschreibt Heschl mit ironischer Anspielung auf die Bibel als Auszug aus dem Paradies, aber nicht aus dem göttlichen, sondern aus dem immergrünen und Früchte spendenden Urwald: Der Sahalanthropus tchadensis – möglicherweise der älteste Hominide – war durch den Klimawandel in Zentralafrika genötigt, sich in die offene Savanne hinauszuwagen. Um zu überleben, musste er sich zu einem sozialen Wesen entwickeln. Nicht die Jagd förderte also den Gemeinschaftssinn der frühen Hominiden, sondern die Tatsache, dass sie weit oben auf der Speiseliste ihrer Fressfeinde standen.

Auch mit anderen Überraschungen wartet der Autor auf: Obwohl der Schimpanse mit dem Menschen genetisch am engsten verwandt ist, steht nach Heschl eher der Gorilla dem heutigen Homo sapiens entwicklungsgeschichtlich am nächsten. Dies zeige sich nicht zuletzt daran, wie "menschlich" Gorillas ihr Sozialleben gestalten. So neigen sie beispielsweise dazu, feste Partnerschaften einzugehen und hegen auch ein viel größeres Mitgefühl für ihre Artgenossen als etwa Schimpansen.

Im weiteren Verlauf seines Buches legt Heschl dar, wie sich auch die menschliche Kultur im Dienste des Überlebens herausgebildet habe – so etwa die Sprache aus der Not heraus, andere Gruppenmitglieder vor drohenden Gefahren zu warnen. Genüsslich und mit viel Wortwitz zerstört Heschl die Anmaßung des Menschen, sich als die Krone der Schöpfung zu betrachten. Liebevoll und mit Blick für Details schildert er die beeindruckenden Leistungen anderer Primaten. Durch zahlreiche Beispiele aus der Verhaltensforschung, aber auch der Kognitions- und der Entwicklungspsychologie demonstriert er, dass viele der anderen Primatenarten dem Homo sapiens allenfalls quantitativ hinterherhinken.

Auch wenn "Darwins Traum" an manchen Stellen arg spekulativ ausfällt, fühlt man sich insgesamt von dem erhellend bebilderten Buch gut informiert und unterhalten.

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