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Gärten der unbegrenzten Möglichkeiten

"Gärtner lieben ihre Gärten wie Eltern ihre Kinder" – das scheint kein europäisches Phänomen zu sein, sondern trifft, wie der vorliegende Bildband belegt, auch auf das Land der unbegrenzten Möglichkeiten zu. Rebecca Solnit stellt in ihrem einleitenden 14-seitigen Essay, schön illustriert durch historische Postkarten, das Besondere der Gartenkunst der Neuen Welt heraus. Sie gibt einen Abriss der Gartengeschichte, aus dem hervorgeht, wie sehr sich die Anschauung vom 18. Jh. bis heute verändert hat: Von der "idealen Natur", die der ordnenden Hand des Menschen bedurfte, über den Englischen Garten, bei dem die "naturbelassene" Landschaft in den Vordergrund trat hin zum amerikanischen Garten, der – dem Wesen der Nordamerikaner entsprechend – durch das Ungewöhnliche, Regellose, Bizarre, durch Extreme und Superlativen auffällt. Wie in anderen Lebensbereichen zeichnen sich auch amerikanische Gärten besonders durch Unkonventionalität aus, durch die Unbelastetheit von Traditionen und den Mut zum Experimentieren. Nicht gefällige Harmonie, sondern Eklektizismus und Ausgefallenheit stehen an erster Stelle. Wie bieder und brav wirken dagegen europäische Gärten, die sich entweder durch barocke Tradition und strenge Symmetrie auszeichnen oder dem englischen Landschaftsgarten verpflichtet sind.

Knapp hundert außergewöhnliche Phänomene der amerikanischen Gartenkunst hat der Fotograf John Pfahl in diesem großformatigen Bildband festgehalten. Er bietet ein faszinierendes Panoptikum von Pflanzen und Gestaltungsweisen, wobei sich die von ihm gewählten Beispiele in zwei etwa gleichgewichtige Gruppen gliedern lassen: Solche, die Zeugnis ablegen vom Sehnen nach sichtbarer Ordnung und der Wertschätzung eines Gartens als Stück "verbesserte Natur" bzw. als "Zuchtobjekt". Andererseits jene, die für sich selbst sprechen und aus der Natur gegriffen sind. Es handelt sich um Naturaufnahmen, Bilder aus Botanischen Gärten, Topiaries (Formschnitt-Gärten), Arboreta und Privatgärten. Unter den Fotos ist die Ostküste (inkl. Florida) besonders zahlreich vertreten, nicht nur die USA, sondern auch Kanada, daneben als zweite gartenhistorisch wichtige Region Kalifornien.

Es gibt im Buch eine Menge an Formschnittskulpturen. So gestaltete Jeff Koons vor dem Rockefeller Center in New York aus Zig-Tausenden Sommerblumen einen Hundewelpen. Sorgfältigst getrimmte kanadische Hemlocktannen, streng-geometrisch angelegte Elisabethanische Gärten, Palmen und Pyramiden, ein Azaleen-Labyrinth oder sorgfältig geschnittene Bonsais zeugen von den ihre Ordnungsvorstellungen regelnden Eingriffen des Menschen in die Natur. Sonnenblumen- und Chrysanthemen-, Tulpen- und Ranunkelfelder, Riesenkürbisse und Orchideen belegen hingegen züchterische Fortschritte und Wirtschaftlichkeit.

Natur geblieben und für sich allein ein Kunstwerk sind hingegen Fotoobjekte wie der größte Feigenbaum der USA in Santa Barbara/CA oder der "Dr. Wadsworths Baum" in Chautauqua/NY. Dieser allein stehende Ahorn mit seinem einzigen erhaltenen Ast, regt zum Nachdenken über die Vergänglichkeit an. Hänge-Rotbuchen in The Elms, Newport, ein Fächerahorn in oranger Farbpracht in Hershey, eine Allee von Live Oaks (immergrünen Eichen), dicht behangen mit Spanish Moss, in der Boone Hall Plantation in Charleston – sie alle kommen ohne Menschenhand aus. Auch Yoshino-Kirschbäume, farbige Hängerotbuchen, Hainbuchen- und Birkenalleen, Eichen, Mammutbäume oder die bescheidene Trompetenblume in einem Hinterhof liefern Beispiele für "Natur pur".

Zu jedem Foto findet sich eine Beschreibung zu der gezeigten Anlage bzw. den Pflanzen und im Anhang findet sich eine Adressliste der öffentlich zugänglichen Gärten Nordamerikas. Das Pflanzenregister listet löblicherweise deutsche und lateinische Pflanzennamen auf. Lediglich etwas mehr Literaturangaben hätte man sich gewünscht.

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