Schmerz und Farben fürs Aroma
Das kennen viele: Auf der Rückreise aus dem Urlaub schleppt man ein paar Flaschen jenes Weins mit, der in der Abendsonne am Mittelmeer so vorzüglich schmeckte. Doch zu Hause enttäuscht der Tropfen auf ganzer Linie.
Schuld daran ist offenbar ein simpler Umstand, wie kürzlich Wissenschaftler vom Mainzer Institut für Experimentelle Psychologie zeigten. Sie servierten 500 Probanden einen Riesling – in einem weißen Raum, den die Forscher mittels einer Lampe mal in rotes, mal in grünes, blaues oder gelbes Licht tauchten. Mit erstaunlichen Folgen: Die Probanden bezeichneten den im roten Zimmer verkosteten Wein als fruchtig und süß, doch strahlten die Lampen grün, entfaltete derselbe Wein scheinbar ein apfelartiges, saures Aroma. Bei blauem Licht empfanden sie ihn als wässrig, mit einem leicht bitteren Nachgeschmack. Nur bei gelbem Licht verströmte der Riesling das erwartete Bukett von Pfirsich und Aprikose. Warum das so ist, konnten die Forscher nicht abschließend klären. Aber sie empfehlen, Wein vorsichtshalber bei neutralen Lichtverhältnissen zu verkosten.
Von solchen verblüffenden Entdeckungen rund um Geschmacks- und Geruchssinn berichten der Sinnesforscher Hans Hatt und die Journalistin Regine Dee in ihrem neuen Buch. Es handelt von den Funktionsmechanismen des Riech- und Geschmackssinns, den Geruchsrezeptoren außerhalb der Nase, der Sucht nach Fett, Salz und Zucker sowie dem Nutzen von Bitterstoffen in der Nahrung bis hin zu Düften, die jung, schlank, schlau oder auch krank machen sollen.
Eine eigene Studie von Hatt zeigte, dass unser Geschmacks- und Geruchserleben nicht nur über Mund und Nase vermittelt werden. Als Hatt das charakteristische Barrique-Aroma von in Eichenfässern gelagertem Rotwein ergründete, mischte ein unerwarteter Rezeptor mit: Der typische Geschmack entstand aus der Reizung des Nervus trigeminus, der unter anderem für Schmerz- und Temperaturempfindungen zuständig ist. Hatt schlussfolgert mit einem Augenzwinkern, deshalb könne man den Rotwein auch mit Eichenholzspänen versetzen und in Metallbehältern lagern.
Dass der menschliche Riech- und Geschmackssinn verkümmert ist, bestreiten Hatt und Dee jedoch. Tatsächlich reagiere schon der menschliche Fötus sensibel auf Aromen. Denn unlängst habe sich herausgestellt, dass Kinder, deren Mütter während ihrer Schwangerschaft reichlich Pfefferminz, Anis oder Knoblauch zu sich nahmen, später häufiger eine Vorliebe für eine entsprechend gewürzte Kost entwickeln.
Wie sich Geschmacksknospen und Riechkolben auf die Probe stellen und durch regelmäßiges Training verbessern lassen, erläutern die Autoren im letzten Teil. Zum Weinkenner könnten es beispielsweise viele bringen, wenn sie drei Monate lang erst die eine Rebsorte, dann die nächste verkosteten, und so weiter. Dabei helfe es auch, die Geschmackserfahrungen regelmäßig in eigenen Worten zu beschreiben.
Wer auf hochprozentige Lehrjahre lieber verzichten möchte, kann mit diesem Buch vorliebnehmen. Hatt und Dee gelingt das Kunststück, in kurzweiligen Kapiteln und einfachen Worten eine Fülle aufschlussreicher Informationen zu vermitteln. Ein exzellentes Buch.
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