Dufte!
Die Augen können wir schließen, die Ohren zuhalten – aufhören zu atmen und damit zu riechen können wir auf Dauer nicht. Die Nase ist ein zentrales Sinnesorgan, und das nicht nur wegen ihrer exponierten Stellung im Gesicht. Mit ihren rund 30 Millionen Riechzellen ist sie rund um die Uhr aktiv, auch im Schlaf. 350 verschiedene Düfte können wir unterscheiden, oft kombiniert zu Aromen – für Kaffee, ein Parfum oder gar "unser Zuhause". Die Eindrücke wandern direkt ins Hirn, ohne Umweg über das Bewusstsein.
Häufig finden wir einen anderen Menschen "dufte" oder können ihn "nicht riechen", noch bevor unser Verstand ein Wörtchen mitzureden hat. Manche Düfte regen zudem die Ausschüttung von opiumähnlichen, körpereigenen Stoffen an, die uns glücklich machen, unsere Motivation steigern oder sogar Schmerz vertreiben. Der Bochumer Zellphysiologie Hanns Hatt widmet sich seit Jahren diesem bemerkenswerten Sinn und weiß seine Erkenntnisse zusammen mit der Wissenschaftsjournalistin Regine Dee in allgemein verständliche Worte zu fassen.
Nach "Das Maiglöckchen-Phänomen " und "Niemand riecht so gut wie du" ist das vorliegende Buch bereits das dritte Werk des Autorenpaars. Selten hat mir ein Buch so gefallen wie dieses! Daran dürfte der journalistische Sachverstand der Mitautorin einen erheblichen Anteil haben. Dank kurzer Kapitel und einer erstklassigen Sprache kann man das Buch getrost statt eines Krimis als Nachtlektüre konsumieren – und jeden Abend Erstaunliches erfahren. Zum Beispiel, dass Duftstoffmoleküle offenbar nicht nur die Riechzellen in der Nase anregen. Rezeptoren dafür sind in vielen Organen im Inneren unseres Körpers zu finden. Welche Funktionen sie dort genau erfüllen, ist bislang kaum erforscht.
Hatts Forschergruppe entdeckte in der Prostata Rezeptoren, die genauso funktionieren wie die Riechzellen für Veilchenduft in der Nase. In der Vorsteherdrüse des Mannes spielt ein testosteronähnlicher Stoff die Rolle des Duftmoleküls; durch Aktivieren des Rezeptors erzeugt er ein Signal, welches das Wachstum der Zellen stoppt. Besonders viele Rezeptoren fand die Arbeitsgruppe in Krebszellen der Prostata. Auch diese stellten in Gegenwart des Veilchendufts ihr Wachstum ein – zumindest im Reagenzglas. Duftstoffe könnten daher eines Tages die Krebstherapie revolutionieren, hofft Hatt. Spermien sind ebenfalls mit derartigen Rezeptoren ausgestattet. Sie folgen mit Elan der Spur eines Lockstoffs, der von der Eizelle ausgesandt wird und nach einer synthetischen Variante des Maiglöckchendufts riecht. Dieser – im Labor reproduzierbare – Effekt hat als "Maiglöckchen-Phänomen" mittlerweile große Bekanntheit erlangt. Seitdem fanden die Bochumer Forscher um Hanns Hatt Duftrezeptoren auch in der Leber, im Herzen, in der Haut und selbst im Darmtrakt – was erklären könnte, warum Kräuter oder Gewürze sich so stark auf die Verdauung auswirken.
Hatt zeigt, dass Düfte uns stimulieren oder entspannen können, uns erfrischen oder erregen – oder manipulieren. Sie können uns sogar attraktiv, schlank oder jung erscheinen lassen. So berichtet der Bochumer Forscher von Studien, nach denen Frauen um ganze sechs Kilo leichter geschätzt wurden, wenn sie ein Parfüm mit blumigen Duftnoten benutzten. Und jede Frau, die um Jahre jünger wirken möchte, sollte sich ein paar Tropfen Pampelmusenduft auftupfen. In der Hoffnung, das wirke auch beim Mann, irrte ich tagelang durch Drogerien auf der Suche nach einem Shampoo, das nach Pampelmuse duftet – leider ohne Erfolg. Diese Erkenntnis scheint sich bei den Kosmetikherstellern noch nicht durchgesetzt zu haben. Oder sie trauen der (leicht mit der Pampelmuse zu verwechselnden) Grapefruit eine ähnliche Wirkung zu – was von den Bochumer Forschern wohl erst noch zu prüfen wäre.
Laut Hatt können ein paar Tropfen Pfefferminzöl sogar als Schlankmacher dienen: Auf ein Taschentuch getropft und beschnüffelt, beugen sie Heißhungerattacken vor und können den Appetit auf süße oder fette Speisen mindern. Besonders spektakulär ist die Tatsache, dass viele der untersuchten Düfte sogar dann wirken, wenn sie unterhalb der bewussten Wahrnehmungsschwelle liegen. Selbst Menschen und Tiere, die durch Krankheit oder Unfall "nasenblind " geworden sind, reagieren auf unterschwellige Mengen an Duftstoffen wie Gesunde. Hatt weiß auch zu berichten, dass in einigen Staaten der Erde Epilepsiepatienten regelmäßig von Hunden begleitet werden. Offenbar sind einige der Vierbeiner mit der bekanntermaßen höchst empfindsamen Nase in der Lage, den sich verändernden Körpergeruch eines Patienten vor einem Anfall wahrzunehmen und ihn zu warnen.Einige trainierte Hunde dienen Diabetikern als lebende Alarmanlagen. Sie erschnüffeln deren Blutzuckerspiegel und geben bei Über- oder Unterzuckerung Laut.
Das ganze Buch handelt von solchen und ähnlichen Anekdoten. Trotz des harten wissenschaftlichen Kerns sind sie durchweg verständlich geschrieben und vielfach im Alltag anwendbar. So geben die Autoren Tipps, wie man mit Aromen besser einschlafen kann oder sich wach hält. Hatt glaubt sogar, man könne mit einem einfachen Riechtraining, bei dem man mehrmals täglich an fünf bis zehn Düften schnuppert, die Symptome der Demenz hinauszögern. Weitere kleine Trainingsprogramme für Nase und Gaumen runden das überaus gelungene Buch ab.
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