Liegestütze fürs Gehirn
Kann man durch fleißiges Denken Gehirnkapazität aufbauen, so wie man durch fleißiges Hantelnstemmen Muskelmasse aufbaut? Im Prinzip schon; nur kommt es im geistigen Bereich viel mehr noch als im körperlichen auf die richtige Methode an. Christian Hesse, Professor für Mathematik in Stuttgart, gibt uns 22 Methoden ("Heuristiken") an, mit denen wir Probleme oft leichter lösen können.
Aber ist nicht gerade bei Denksportaufgaben das Entscheidende die kreative Idee? Auch Hesse gibt zu, dass man ohne diese nichts erzwingen kann. Immerhin liefert er erlernbare Methoden oder Anleitungen, die Ideen erzeugen können; die helfen einem beim Vorgehen, wenn man zunächst nicht weiterweiß.
Freilich, den rechten Blick zu bekommen, wann man welche Methode einsetzt, ist auch eine Sache der Übung. Daher führt Hesse zu jeder Methode eine Reihe von Beispielen an und garniert das Ganze, damit es nicht zu trocken gerät, mit allerlei Interessantem und auch Lustigem. Zuerst wird dem Leser das Analogieprinzip vorgestellt: "Kann man das Problem auf ein ähnliches zurückführen, für das die Lösung bereits bekannt ist?" Nehmen wir ein Tennisturnier, bei dem n Spieler nach dem K.o.-System gegeneinander antreten. Wie viele Spiele müssen ausgetragen werden? Meistens wird die Veranstaltung schon so angelegt, dass diese Anzahl eine Zweierpotenz ist und jede Runde die Zahl der Teilnehmer halbiert. Aber diese Spezialisierung ist unnötig und verstellt den Blick fürs Wesentliche.
Der einfache Gedankengang ist: Der Verlierer eines Spiels scheidet aus dem Turnier aus. Jedes Spiel hat genau einen Verlierer, und am Ende soll genau ein Nichtverlierer übrig bleiben. Also ist die Anzahl der Spiele gleich n–1.
Genau so geht die Lösung des Schokoladenproblems: Eine Schokoladentafel aus n mal m Stücken hat lange waagerechte und kurze senkrechte Fugen. Sie soll in lauter Einzelstücke zerlegt werden. Ein "Spielzug" besteht darin, ein Tafelfragment entlang einer ganzen Fuge entzweizubrechen. Benötigt man weniger Spielzüge, wenn man erst die langen und dann die kurzen Fugen bricht, oder umgekehrt? Die Antwort: Es kommt überhaupt nicht darauf an. Jeder Spielzug erhöht die Anzahl der Fragmente um 1, am Ende müssen es n mal m Stücke sein, also braucht man n mal m – 1 Spielzüge.
Einige weitere Methoden sind sehr gut verständlich und auch eingängig. Etwa das Paritätsprinzip: "Bietet das Problem die Möglichkeit zur Einteilung von Teilaspekten in zwei einander nicht überlappende Klassen, so dass daraus Aufschlüsse über die Lösung gewonnen werden können?" Oder das Dirichlet-Prinzip ("Schubfachprinzip"): "Wenn n + 1 Objekte ganz beliebig auf n Fächer verteilt werden, dann gibt es mindestens 1 Fach mit mindestens 2 Objekten."
Letzteres mutet fast schon trivial an, doch es wird sich als sehr nützlich erweisen. Hier zwei Probleme: Ihr Spielpartner nimmt aus seinem Geldbeutel eine beliebige Anzahl von Geldstücken und legt sie auf den Tisch. Nachdem Sie die Münzen nach Kopf und Zahl begutachtet haben, drehen Sie sich um. Dann dreht Ihr Freund beliebig oft eine Münze um, wobei er jedes Mal "drehen" sagt. Bevor Sie sich wieder umdrehen, deckt Ihr Freund eine Münze zu.
Ihre Aufgabe ist es schließlich, zu sagen, ob die verdeckte Münze Kopf oder Zahl zeigt. Zum anderen Problem: Zeigen Sie "Unter sechs beliebigen Personen gibt es stets drei, die alle miteinander befreundet sind, oder drei, bei denen dies durchgängig nicht der Fall ist". Welche Denkmethode wenden Sie an?
Zuerst zum zweiten Problem (Spektrum der Wissenschaft 9/1990, S. 112). Man zeichnet ein Sechseck, dessen Ecken A, B, C, D, E und F die sechs Personen wiedergeben. Dann kann das Verhältnis zweier Personen mit einer roten Verbindungslinie für "befreundet" und einer blauen für "nicht befreundet" zwischen den entsprechenden Ecken dargestellt werden. Die Behauptung ist dann, dass es in jedem solchen Beziehungssechseck ein Dreieck gibt, dessen Seiten entweder alle blau oder alle rot sind.
Das sieht man so ein: Sei P eine der sechs Personen, also eine Ecke aus der Menge {A, B, C, D, E, F }. Von den von P ausgehenden sechs Linien müssen nach dem Schubfachprinzip mindestens drei die gleiche Farbe haben, also zum Beispiel rot sein. Die drei gleichfarbigen Linien führen zu drei weiteren Punkten, sagen wir Q, R und S. Ist dann eine der Kanten QR, RS, QS rot, dann haben wir schon unser rotes Dreieck. Ansonsten bilden aber QR, RS und QS ein blaues Dreieck. Das war’s!
Und was sagt der Bayern- Manager zum Dirichlet-Prinzip: "Wenn Franck so spielt wie gegen Saloniki, wird er immer von zwei, drei Leuten gedeckt. Von einem ist er nicht zu halten, oder nur mit Fouls. Das bietet doch Chancen für andere. Gehen zwei auf Franck, muss nach Adam Riese irgendwo einer frei stehen."
Und beim ersten Beispiel? Nutzen Sie das Paritätsprinzip. Zählen Sie die Anzahl der Kopf zeigenden Münzen und merken Sie sich, ob diese gerade oder ungerade ist, bevor Sie sich umdrehen. Die Parität bleibt schließlich erhalten, wenn Ihr Freund eine gerade Anzahl von Münzen dreht...
Damit Sie keinen falschen Eindruck bekommen: Die Lektüre fordert tatsächlich an einigen Stellen eine größere Aufmerksamkeit. So spricht Hesse Grundzüge der Mengenlehre und Logik an; diese helfen oft, sorgfältiger zu argumentieren. Aber auf jede Durststrecke folgt Entspannung. Zum Beispiel erfährt man nicht nur, wie Einsteins Ideen mit dem Invarianzprinzip zusammenhängen, sondern auch einiges über sein Leben. Man erhält nicht nur ansatzweise Einblicke in die Lösung eines der bekanntesten mathematischen Probleme, des großen fermatschen Satzes, sondern erfährt auch die hoch spannende Geschichte dieses legendären Satzes. Im letzten Kapitel zur Brute-Force-Methode erzählt uns der Autor, wie der geniale Mathematiker Alan Turing eine Chiffriermaschine entschlüsselt und somit maßgeblich in das Geschichtsgeschehen eingegriffen hat.
Kann man nach der Lektüre wirklich ein neues und "besseres Leben" führen, wie der Untertitel verspricht? Das hat Hesse vermutlich selbst nicht ganz ernst gemeint. Natürlich kann man sich nicht plötzlich, ohne eine gewisse Routine, ohne weitere Aufgaben und weiteres Training zu einem durch und durch souveränen Problemlöser entwickeln. Für einen soliden und fundierten Einstieg ins mathematische Denken bietet dieses Buch aber sicherlich eine überaus gute Grundlage.
Insgesamt legt Hesse ein gut strukturiertes Buch vor, schreckt nicht davor zurück, auch echte Mathematik einfließen zu lassen – und ist meilenwert entfernt von den drögen Büchern, die populärwissenschaftlich sein wollen und doch nur verstaubte Inhalte halbmathematisch behandeln. Wer zu viel Angst vor der Mathematik hat, sei beruhigt: Trotz seiner steilen Karriere über Harvard und Berkeley hat Hesse die Fähigkeit, vieles auch einfach zu erklären, nicht verloren.
Was man aber in jedem Fall benötigt, ist manchmal eine gewisse Ausdauer. Genau wie beim normalen Sport – geschenkt wird einem nichts.
Aber ist nicht gerade bei Denksportaufgaben das Entscheidende die kreative Idee? Auch Hesse gibt zu, dass man ohne diese nichts erzwingen kann. Immerhin liefert er erlernbare Methoden oder Anleitungen, die Ideen erzeugen können; die helfen einem beim Vorgehen, wenn man zunächst nicht weiterweiß.
Freilich, den rechten Blick zu bekommen, wann man welche Methode einsetzt, ist auch eine Sache der Übung. Daher führt Hesse zu jeder Methode eine Reihe von Beispielen an und garniert das Ganze, damit es nicht zu trocken gerät, mit allerlei Interessantem und auch Lustigem. Zuerst wird dem Leser das Analogieprinzip vorgestellt: "Kann man das Problem auf ein ähnliches zurückführen, für das die Lösung bereits bekannt ist?" Nehmen wir ein Tennisturnier, bei dem n Spieler nach dem K.o.-System gegeneinander antreten. Wie viele Spiele müssen ausgetragen werden? Meistens wird die Veranstaltung schon so angelegt, dass diese Anzahl eine Zweierpotenz ist und jede Runde die Zahl der Teilnehmer halbiert. Aber diese Spezialisierung ist unnötig und verstellt den Blick fürs Wesentliche.
Der einfache Gedankengang ist: Der Verlierer eines Spiels scheidet aus dem Turnier aus. Jedes Spiel hat genau einen Verlierer, und am Ende soll genau ein Nichtverlierer übrig bleiben. Also ist die Anzahl der Spiele gleich n–1.
Genau so geht die Lösung des Schokoladenproblems: Eine Schokoladentafel aus n mal m Stücken hat lange waagerechte und kurze senkrechte Fugen. Sie soll in lauter Einzelstücke zerlegt werden. Ein "Spielzug" besteht darin, ein Tafelfragment entlang einer ganzen Fuge entzweizubrechen. Benötigt man weniger Spielzüge, wenn man erst die langen und dann die kurzen Fugen bricht, oder umgekehrt? Die Antwort: Es kommt überhaupt nicht darauf an. Jeder Spielzug erhöht die Anzahl der Fragmente um 1, am Ende müssen es n mal m Stücke sein, also braucht man n mal m – 1 Spielzüge.
Einige weitere Methoden sind sehr gut verständlich und auch eingängig. Etwa das Paritätsprinzip: "Bietet das Problem die Möglichkeit zur Einteilung von Teilaspekten in zwei einander nicht überlappende Klassen, so dass daraus Aufschlüsse über die Lösung gewonnen werden können?" Oder das Dirichlet-Prinzip ("Schubfachprinzip"): "Wenn n + 1 Objekte ganz beliebig auf n Fächer verteilt werden, dann gibt es mindestens 1 Fach mit mindestens 2 Objekten."
Letzteres mutet fast schon trivial an, doch es wird sich als sehr nützlich erweisen. Hier zwei Probleme: Ihr Spielpartner nimmt aus seinem Geldbeutel eine beliebige Anzahl von Geldstücken und legt sie auf den Tisch. Nachdem Sie die Münzen nach Kopf und Zahl begutachtet haben, drehen Sie sich um. Dann dreht Ihr Freund beliebig oft eine Münze um, wobei er jedes Mal "drehen" sagt. Bevor Sie sich wieder umdrehen, deckt Ihr Freund eine Münze zu.
Ihre Aufgabe ist es schließlich, zu sagen, ob die verdeckte Münze Kopf oder Zahl zeigt. Zum anderen Problem: Zeigen Sie "Unter sechs beliebigen Personen gibt es stets drei, die alle miteinander befreundet sind, oder drei, bei denen dies durchgängig nicht der Fall ist". Welche Denkmethode wenden Sie an?
Zuerst zum zweiten Problem (Spektrum der Wissenschaft 9/1990, S. 112). Man zeichnet ein Sechseck, dessen Ecken A, B, C, D, E und F die sechs Personen wiedergeben. Dann kann das Verhältnis zweier Personen mit einer roten Verbindungslinie für "befreundet" und einer blauen für "nicht befreundet" zwischen den entsprechenden Ecken dargestellt werden. Die Behauptung ist dann, dass es in jedem solchen Beziehungssechseck ein Dreieck gibt, dessen Seiten entweder alle blau oder alle rot sind.
Das sieht man so ein: Sei P eine der sechs Personen, also eine Ecke aus der Menge {A, B, C, D, E, F }. Von den von P ausgehenden sechs Linien müssen nach dem Schubfachprinzip mindestens drei die gleiche Farbe haben, also zum Beispiel rot sein. Die drei gleichfarbigen Linien führen zu drei weiteren Punkten, sagen wir Q, R und S. Ist dann eine der Kanten QR, RS, QS rot, dann haben wir schon unser rotes Dreieck. Ansonsten bilden aber QR, RS und QS ein blaues Dreieck. Das war’s!
Und was sagt der Bayern- Manager zum Dirichlet-Prinzip: "Wenn Franck so spielt wie gegen Saloniki, wird er immer von zwei, drei Leuten gedeckt. Von einem ist er nicht zu halten, oder nur mit Fouls. Das bietet doch Chancen für andere. Gehen zwei auf Franck, muss nach Adam Riese irgendwo einer frei stehen."
Und beim ersten Beispiel? Nutzen Sie das Paritätsprinzip. Zählen Sie die Anzahl der Kopf zeigenden Münzen und merken Sie sich, ob diese gerade oder ungerade ist, bevor Sie sich umdrehen. Die Parität bleibt schließlich erhalten, wenn Ihr Freund eine gerade Anzahl von Münzen dreht...
Damit Sie keinen falschen Eindruck bekommen: Die Lektüre fordert tatsächlich an einigen Stellen eine größere Aufmerksamkeit. So spricht Hesse Grundzüge der Mengenlehre und Logik an; diese helfen oft, sorgfältiger zu argumentieren. Aber auf jede Durststrecke folgt Entspannung. Zum Beispiel erfährt man nicht nur, wie Einsteins Ideen mit dem Invarianzprinzip zusammenhängen, sondern auch einiges über sein Leben. Man erhält nicht nur ansatzweise Einblicke in die Lösung eines der bekanntesten mathematischen Probleme, des großen fermatschen Satzes, sondern erfährt auch die hoch spannende Geschichte dieses legendären Satzes. Im letzten Kapitel zur Brute-Force-Methode erzählt uns der Autor, wie der geniale Mathematiker Alan Turing eine Chiffriermaschine entschlüsselt und somit maßgeblich in das Geschichtsgeschehen eingegriffen hat.
Kann man nach der Lektüre wirklich ein neues und "besseres Leben" führen, wie der Untertitel verspricht? Das hat Hesse vermutlich selbst nicht ganz ernst gemeint. Natürlich kann man sich nicht plötzlich, ohne eine gewisse Routine, ohne weitere Aufgaben und weiteres Training zu einem durch und durch souveränen Problemlöser entwickeln. Für einen soliden und fundierten Einstieg ins mathematische Denken bietet dieses Buch aber sicherlich eine überaus gute Grundlage.
Insgesamt legt Hesse ein gut strukturiertes Buch vor, schreckt nicht davor zurück, auch echte Mathematik einfließen zu lassen – und ist meilenwert entfernt von den drögen Büchern, die populärwissenschaftlich sein wollen und doch nur verstaubte Inhalte halbmathematisch behandeln. Wer zu viel Angst vor der Mathematik hat, sei beruhigt: Trotz seiner steilen Karriere über Harvard und Berkeley hat Hesse die Fähigkeit, vieles auch einfach zu erklären, nicht verloren.
Was man aber in jedem Fall benötigt, ist manchmal eine gewisse Ausdauer. Genau wie beim normalen Sport – geschenkt wird einem nichts.
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