Unglaublich, aber wahr
Finden Sie die abgeknickte Kopfhaltung am Friseurwaschbecken auch so unangenehm? Sie haben Recht, es könnte Sie Ihr Leben kosten! Warum, erfahren Sie von Martina Frei. Seit Oktober 2009 schreibt sie in einer wöchentlichen Kolumne im Züricher "Tages-Anzeiger" über skurrile und unglaubliche medizinische Fälle aus aller Welt.
Martina Frei studierte Medizin in Freiburg und München und arbeitete acht Jahre als praktische Ärztin, bevor sie ihren Job für eine Ausbildung an der Ringier-Journalistenschule an den Nagel hängte. Das vorliegende Buch ist eine Sammlung ihrer Kolumnen.
Wie soll ein Mensch zwei verschiedene Blutgruppen haben können? Da denkt man zuerst an einen Laborfehler und vermutet, das ganze Buch handle von unglaublichen Vorkommnissen, die sich wegen Schusseligkeiten, vertauschter Befunde, übermüdeter Dienstärzte oder ähnlicher menschlicher Schwächen zugetragen haben. Weit gefehlt! Die beschriebene Patientin kam zweifelsfrei mit der Blutgruppe "Rhesus negativ" auf die Welt, war aber nach einer Lebertransplantation plötzlich rhesus-positiv. Die Mediziner erklärten sich diesen erstaunlichen Befund folgendermaßen: In der transplantierten Leber seien so viele Blutstammzellen des rhesus-positiven Spenders gewesen, dass diese sich im Knochenmark der Empfängerin angesiedelt und deren eigene Blutstammzellen verdrängt haben. Die neu produzierten Blutzellen hatten dann die Blutgruppe des Spenders.
Für Hypochonder kann das Buch weit reichende Folgen haben. Sie könnten sich veranlasst fühlen, sämtliche Zahnstocher aus ihrem Leben zu verbannen, denn jeder fünfte Patient, der einen Zahnstocher verschluckt hat und einen Arzt aufsucht, stirbt an den Folgen innerer Verletzungen. Sie könnten sich auch vornehmen, den Telefonhörer nicht mehr zwischen Ohr und Schulter einzuklemmen, keine laute Musik zu hören und Earl-Grey-Tee oder Cola ganz zu meiden, desgleichen Grapefruit, Sandwiches, Wildbret und Fisch. Auch Kaugummi ist sehr gefährlich – andererseits auch lebensrettend, denn in einem Fall war er als einziges Mittel zur Hand, um eine Gehirnblutung zu stoppen.
Martina Frei versteht es, jede einzelne Geschichte so spannend zu erzählen, dass man sie auf jeden Fall zu Ende lesen will – und schon gleich neugierig auf die nächste Episode ist. Sie erzählt lustige Geschichten: von einer Frau, die dem altersschwachen Meerschweinchen ihrer Kinder die Karotten vorkaute und davon eine Gelbsucht bekam; von Kindern, die mit ihrem selbst gemachten Salat ihre Eltern in einen Marihuana- Rausch versetzten; oder von einer eingebildeten Massenvergiftung, die zur Evakuierung eines Flughafens führte.
Auch neckische Wörter wie "Fummelsyndrom " und "Golfernippel" weiß sie zu erklären: Wer an seinem Herzschrittmacher herumfummelt, der in einer Gewebetasche direkt unter der Haut platziert ist, lenkt möglicherweise dessen Impulse auf andere Nerven oder Muskeln, wodurch zum Beispiel das Zwerchfell oder der Arm in unangenehme Zuckungen verfallen. Und manche ungeübten Golfspieler scheuern beim Schlägerschwingen immer wieder mit dem Arm an der Brustwarze entlang, bis diese ganz geschwollen, gerötet und verhärtet ist.
Sie erzählt aber auch schreckliche Geschichten, zum Beispiel von einer Patientin, die im Rollstuhl sitzt, weil sie sich mit der im Übermaß benutzten Haftcreme für ihre dritten Zähne vergiftet hatte. Wirklich eklig sind die Berichte über Mückenlarven in den Nasennebenhöhlen einer Patientin oder Hunderte von Wanzen, die sich im Bett eines Kranken tummelten.
Tröstlich dagegen ist es zu lesen, dass der menschliche Körper offensichtlich auch einiges aushält: Wenn ein Mensch mit einem 30 Zentimeter langen Messer im Rücken noch nach Hause laufen kann und ein Kind mit einem halben Gehirn sich normal entwickelt und intelligent ist, dann hat die Natur dem menschlichen Leben wohl doch eine gehörige Portion Widerstandskraft verpasst.
Die einzelnen Geschichten sind einer Kolumne gemäß immer gleich aufgebaut: Zu Beginn werden unspezifische, merkwürdige Symptome beschrieben, mit denen keiner so recht etwas anfangen kann. Dann kommt es zur teils lebensbedrohlichen Eskalation der Symptomatik, und schließlich erscheint die Auflösung mit großem Aha-Effekt. Danach folgen laienverständliche, fundierte Erklärungen des Vorfalls, und am Ende unterstreicht meist noch eine witzige Bemerkung die Skurrilität der Geschichte. Manchmal sind die medizinischen Erklärungen einfach nur banal – auch gut. Die Episoden sind eben nicht alle gleich spektakulär.
Dass die Vorkommnisse auf wahren Begebenheiten beruhen, belegt das außergewöhnlich gute und ausführliche Quellenverzeichnis. Beliebte Quellen sind unter anderen so renommierte Fachzeitschriften wie das "New England Journal of Medicine" und das "British Medical Journal", in denen es schon seit Langem ein Forum für derartige Kuriositäten gibt.
Letztlich ist das Buch nicht wirklich lustig, aber sehr erstaunlich. Es ist leicht zu lesen, und man kann es kaum zur Seite legen. Für jeden medizinisch Interessierten eine ausgesprochen kurzweilige Lektüre.
Martina Frei studierte Medizin in Freiburg und München und arbeitete acht Jahre als praktische Ärztin, bevor sie ihren Job für eine Ausbildung an der Ringier-Journalistenschule an den Nagel hängte. Das vorliegende Buch ist eine Sammlung ihrer Kolumnen.
Wie soll ein Mensch zwei verschiedene Blutgruppen haben können? Da denkt man zuerst an einen Laborfehler und vermutet, das ganze Buch handle von unglaublichen Vorkommnissen, die sich wegen Schusseligkeiten, vertauschter Befunde, übermüdeter Dienstärzte oder ähnlicher menschlicher Schwächen zugetragen haben. Weit gefehlt! Die beschriebene Patientin kam zweifelsfrei mit der Blutgruppe "Rhesus negativ" auf die Welt, war aber nach einer Lebertransplantation plötzlich rhesus-positiv. Die Mediziner erklärten sich diesen erstaunlichen Befund folgendermaßen: In der transplantierten Leber seien so viele Blutstammzellen des rhesus-positiven Spenders gewesen, dass diese sich im Knochenmark der Empfängerin angesiedelt und deren eigene Blutstammzellen verdrängt haben. Die neu produzierten Blutzellen hatten dann die Blutgruppe des Spenders.
Für Hypochonder kann das Buch weit reichende Folgen haben. Sie könnten sich veranlasst fühlen, sämtliche Zahnstocher aus ihrem Leben zu verbannen, denn jeder fünfte Patient, der einen Zahnstocher verschluckt hat und einen Arzt aufsucht, stirbt an den Folgen innerer Verletzungen. Sie könnten sich auch vornehmen, den Telefonhörer nicht mehr zwischen Ohr und Schulter einzuklemmen, keine laute Musik zu hören und Earl-Grey-Tee oder Cola ganz zu meiden, desgleichen Grapefruit, Sandwiches, Wildbret und Fisch. Auch Kaugummi ist sehr gefährlich – andererseits auch lebensrettend, denn in einem Fall war er als einziges Mittel zur Hand, um eine Gehirnblutung zu stoppen.
Martina Frei versteht es, jede einzelne Geschichte so spannend zu erzählen, dass man sie auf jeden Fall zu Ende lesen will – und schon gleich neugierig auf die nächste Episode ist. Sie erzählt lustige Geschichten: von einer Frau, die dem altersschwachen Meerschweinchen ihrer Kinder die Karotten vorkaute und davon eine Gelbsucht bekam; von Kindern, die mit ihrem selbst gemachten Salat ihre Eltern in einen Marihuana- Rausch versetzten; oder von einer eingebildeten Massenvergiftung, die zur Evakuierung eines Flughafens führte.
Auch neckische Wörter wie "Fummelsyndrom " und "Golfernippel" weiß sie zu erklären: Wer an seinem Herzschrittmacher herumfummelt, der in einer Gewebetasche direkt unter der Haut platziert ist, lenkt möglicherweise dessen Impulse auf andere Nerven oder Muskeln, wodurch zum Beispiel das Zwerchfell oder der Arm in unangenehme Zuckungen verfallen. Und manche ungeübten Golfspieler scheuern beim Schlägerschwingen immer wieder mit dem Arm an der Brustwarze entlang, bis diese ganz geschwollen, gerötet und verhärtet ist.
Sie erzählt aber auch schreckliche Geschichten, zum Beispiel von einer Patientin, die im Rollstuhl sitzt, weil sie sich mit der im Übermaß benutzten Haftcreme für ihre dritten Zähne vergiftet hatte. Wirklich eklig sind die Berichte über Mückenlarven in den Nasennebenhöhlen einer Patientin oder Hunderte von Wanzen, die sich im Bett eines Kranken tummelten.
Tröstlich dagegen ist es zu lesen, dass der menschliche Körper offensichtlich auch einiges aushält: Wenn ein Mensch mit einem 30 Zentimeter langen Messer im Rücken noch nach Hause laufen kann und ein Kind mit einem halben Gehirn sich normal entwickelt und intelligent ist, dann hat die Natur dem menschlichen Leben wohl doch eine gehörige Portion Widerstandskraft verpasst.
Die einzelnen Geschichten sind einer Kolumne gemäß immer gleich aufgebaut: Zu Beginn werden unspezifische, merkwürdige Symptome beschrieben, mit denen keiner so recht etwas anfangen kann. Dann kommt es zur teils lebensbedrohlichen Eskalation der Symptomatik, und schließlich erscheint die Auflösung mit großem Aha-Effekt. Danach folgen laienverständliche, fundierte Erklärungen des Vorfalls, und am Ende unterstreicht meist noch eine witzige Bemerkung die Skurrilität der Geschichte. Manchmal sind die medizinischen Erklärungen einfach nur banal – auch gut. Die Episoden sind eben nicht alle gleich spektakulär.
Dass die Vorkommnisse auf wahren Begebenheiten beruhen, belegt das außergewöhnlich gute und ausführliche Quellenverzeichnis. Beliebte Quellen sind unter anderen so renommierte Fachzeitschriften wie das "New England Journal of Medicine" und das "British Medical Journal", in denen es schon seit Langem ein Forum für derartige Kuriositäten gibt.
Letztlich ist das Buch nicht wirklich lustig, aber sehr erstaunlich. Es ist leicht zu lesen, und man kann es kaum zur Seite legen. Für jeden medizinisch Interessierten eine ausgesprochen kurzweilige Lektüre.
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