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Jenseits von Egoismus

Wieder hat der niederländische Ethologe Frans de Waal ein Buch geschrieben, das allein schon mit seinen oft verblüffenden Tiergeschichten fesselt. Eine Reihe davon kann der Primatenforscher von der Emory University in Atlanta (Georgia) selbst bezeugen – etwa die einer arthritischen Schimpansin, der Mitglieder ihrer Gruppe auf ein Sitzgerüst helfen, wo sie sich zu den anderen gesellen kann, oder die einer Elefantenkuh, die unzertrennlich zu einer blinden Artgenossin hält und ihr mit kollernden Lauten ihren Aufenthaltsort angibt.

Wohl ebenso viel Raum wie den Tieren widmet de Waal unserem eigenen Verhalten. Dabei reflektiert er verschiedenste Aspekte, etwa vom menschlichen Alltag, von der Entwicklung des sozialen und des Selbstverständnisses kleiner Kinder oder von ethnologischen Beobachtungen an den letzten "Naturvölkern". Warum empfinden sozial Benachteiligte Ungerechtigkeiten stärker als vom Schicksal Begünstigte? Woher rühren Empathie und Sympathie wirklich? Wie vertragen sich Selbstsucht und Freiheitsliebe mit der Tendenz zu Hilfsbereitschaft und der Sehnsucht nach sozialer Nähe?

Wie immer wagt sich de Waal an das in der Wissenschaft heikle Unterfangen, soziales Verhalten psychologisch zu deuten. Aggression gegen Artgenossen und deren Kontrolle, Koalitionsbildung zum Zweck des Aufstiegs in der Hierarchie, Beschwichtigung für friedliches Zusammenleben – seine Themen behandeln das Spannungsfeld von sozialem Mit-, Für- und Gegeneinander.

In diesem fassettenreichen Band geht es de Waal vor allem darum, zu untersuchen, wo im Tierreich Mitfühlen und Hilfeleisten auftritt und inwieweit dies zum Verstehen von menschlichem Altruismus beiträgt. Dass es bei Affen ebenso wie bei manchen Nichtprimaten neben aller aggressiv getönten Durchsetzungsbereitschaft Empathie gibt, und das nicht einmal selten, steht seines Erachtens fest. Doch de Waal interessieren die verschiedenen Erscheinungsformen und Funktionen. Und er zieht immer wieder gern Linien zum Menschen, dessen Egoismen – und "böse" Seiten – er ebenso zur Sprache bringt wie das freundliche und helfende Empfinden und Tun.

Empathie und ähnliche Inhalte scheinen derzeit in der Ethologie zu einem neuen Modethema zu werden, nachdem jahrelang eher soziale Spannungen und aggressive Tendenzen im Zentrum standen. Der Ausgleich ist zu begrüßen. Frans de Waals Buch leistet dazu einen fundierten Beitrag.

  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 6/2012

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