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Das Abenteuer vom Riechen

Der Kommentar "Das hat lecker geschmeckt" nach einem guten Essen ist eigentlich nicht korrekt, denn ein Großteil der angenehmen Empfindung beruht auf dem Geruch. Besonders deutlich wird das, wenn man stark verschnupft ist und kaum Geschmacksunterschiede wahrnimmt. Der Geruchssinn beeinflusst das Leben mehr als man denkt, und er ist permanent da, lässt sich nie ausschalten. Und noch birgt dieser Sinn, der sich in der Embryonalentwicklung sogar als erstes ausbildet, viele Rätsel.

Der Geruchsforscher Hanns Hatt nahm sich jetzt sich zweieinhalb Stunden Zeit, um einen Einblick in dieses spannende Wissenschaftsgebiet zu geben. Auf der CD "Dem Rätsel des Riechens auf der Spur" erklärt er sowohl die molekularen Grundlagen als auch diverse Einzelheiten wie Einzeldüfte und deren Auswirkungen. Er verweist aber auch auf diejenigen Forschungsgebiete, die noch in der Anfangsphase stecken.

Zunächst veranschaulicht Hatt das molekulare Prinzip des Riechens – wie die Riechsinneszellen in der Nasenschleimhaut die ankommenden Duftmoleküle empfangen und weiterleiten. Dabei lernt der Zuhörer deren Sensoren oder Rezeptoren kennen, die diese Duftreize aufnehmen. Er hört, dass jede Riechzelle nur von einer bestimmten Sorte Duft angeregt, jeder Rezeptor von chemisch-strukturell nah verwandten Molekülen aktiviert wird. Dadurch kommt eine Enzymreaktion in Gang, bei der große Mengen eines Botenstoffs entstehen, an einen Ionenkanal andocken und als Folge einen Info-Strom zum Gehirn sausen lassen. Überraschend ist die Tatsache, dass beim Menschen nur 350 Sensoren aktivierbar sind, was nur einem Drittel des tierischen Potenzials entspricht. Und erst zwei davon sind überhaupt entschlüsselt … Und wer macht sich schon bewusst, dass sich die Riechsinneszellen alle vier Wochen erneuern, sodass man also einen Duft jeden Monat mit komplett anderen Zellen wahrnimmt?

Rosen riechen anders als Oregano

Auf das Riechhirn geht Hatt, Inhaber des Lehrstuhls für Zellphysiologie an der Ruhr-Universität Bochum, ebenfalls genauer ein. Er erklärt unter anderem, dass die 350 Sensoren zusammenarbeiten müssen, weil die meisten Düfte aus vielen verschiedenen Duftmolekülen bestehen. Im Gehirn entsteht aus den ankommenden Signalen ein spezifisches Muster, das gespeichert wird und einen später immer an jeweils einen bestimmten Duft denken lässt. In den Erläuterungen zur Dufterziehung erzählt der Sprecher, dass sich das Gehirn bis zu 10 000 Düfte "merken" kann und sich diese mit Übung sogar rein gedanklich erzeugen lassen.

Überhaupt besäßen Menschen zwar durch die individuelle Nasenanatomie eine unterschiedlich gute Riechfähigkeit, doch ließe sich diese trainieren. Kinder sind noch duftneutral, sie müssen die Duftqualität erst erlernen. Insofern bestimmt die Kultur beziehungsweise die Erziehung, ob man einen Geruch als eklig oder angenehm empfindet. Wenn das Riechen möglichst früh erlernt und fixiert werde, bestehe zudem weniger die Gefahr, Düfte gedanklich falsch zu ergänzen und sich durch nachgemachte Lebensmittel wie synthetischen Vanillejoghurt und Co täuschen zu lassen, warnt der Forscher. Er weiß auch, dass Düfte Stimmungen und Sympathien verändern, weil wir sie in dem bestimmten emotionalen Zusammenhang abspeichern, in dem wir sie kennen gelernt haben.

Nur wer gut riecht, hat eine Chance?

Im folgenden Text macht Hatt dann einen Ausflug in die Evolution. Schließlich gibt Duft schon seit Jahrtausenden Auskunft darüber, was essbar und was giftig ist. Er spricht davon, inwiefern Tiere Düfte zur Sexualität brauchen – etwa dass sie den Partner mit einem möglichst unterschiedlichen Genom wählen und so neben der Artentrennung die Erhaltung sichern. Außer 1000 Genen für Duftrezeptoren besitzen Tiere noch 300 zusätzliche für die Pheromone (Sexualdüfte).

Der Mensch ist zwar viel weniger fähig, Pheromone wahrzunehmen, aber ob das dem Unbewusstsein auch klar ist? Im Zusammenhang mit der chemischen Kommunikation lernt man, dass diese auch über Angstduft und Schweiß stattfindet, wobei es den durch Bakterien erzeugten und den individuellen Geruch gibt. Dieser Körperduft ist einzigartig und entsteht aus Zerfallsprodukten des Immunsystems – nur eineiige Zwillinge haben genau den gleichen Eigenduft. In der ehemaligen DDR wurden heimlich Duftproben von potenziellen Flüchtlingen genommen, damit die Spürhunde die Fährte aufnehmen konnten, merkt Hatt an.

Düfte verändern jedoch nicht nur den Hormonstatus, sondern beeinflussen auch körperliche Funktionen. Die Aromatherapie ist schon seit Jahrhunderten bekannt und wird noch immer häufig eingesetzt, sei es als beruhigendes Melissenbad am Abend oder belebende Rosmarin-Dusche am Morgen. Im Zusammenhang mit diesen Aspekten macht Hanns Hatt deutlich, dass wir manche Gerüche gar nicht bewusst wahrnehmen. Trotzdem gehen sie ins Gehirn. Diese Tatsache ebnet so mancher Manipulation die Bahn, weiß er. Beispielsweise könne man heute Büros beduften, um die Arbeitsenergie der Mitarbeiter heimlich zu steigern oder ein gebrauchtes Auto mit dem synthetischen "Neuwagenduft" ausstatten, um es zu einen höheren Preis zu verkaufen.

Düfte für den Doktor

Neben einigen anderen Aspekten geht Hatt auch auf die Bedeutung der Düfte in der Medizin ein. Er erzählt, inwiefern man durch Düfte bei Patienten mit Untergewicht den Appetit steigern kann und wie Gerüche bei der Diagnostik helfen. So deuten charakteristische Gerüche klar auf bestimmte Krankheiten wie Zucker- und Nierenkrankheit hin. Andererseits überrascht er mit aktuellen Forschungsergebnissen, unter anderem dass ein deutlich vermindertes Riechvermögen als Erstindiz für Alzheimer dient.

Insgesamt enthält das Hörbuch 27 ebenso informative wie unterhaltsame Kapitel, die durch zahlreiche Beispiele veranschaulicht werden. Gerade durch den lockeren Erzählstil, der nicht immer konsequent der Reihenfolge des "Skriptes" entspricht, lässt sich dem Hörbuch gut folgen. Das kleine Booklet mit erklärenden Abbildungen ist daher eigentlich gar nicht nötig, so deutlich bringt der Geruchsforscher die Theorie nahe. Oder sollte den beiden silbernen Scheiben gar ein Lernduft entströmen?

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