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Mensch, erkenne dich selbst

Dan Ariely, Professor für Verhaltensökonomie am Massachusetts Institute of Technology, führt uns ein beeindruckendes Panorama unserer Irrationalität vor. Schritt für Schritt demontiert er unsere Vorstellung, wir würden unsere Entscheidungen nach reiflicher Überlegung und nur von der Vernunft gesteuert treffen.

Es beginnt beim biederen Preisvergleich. Wir wägen verschiedene Alternativen ab und wählen dann die, deren Preis-Leistungs- Verhältnis unseren Vorlieben am ehesten entspricht – glauben wir. Ariely weist durch geschickt ersonnene Experimente nach, dass wir nicht etwa mit unseren eigenen Präferenzen vergleichen – so genau wissen wir gar nicht, was wir wollen –, sondern mit einem "Ankerpreis", den wir aus unseren bisherigen Erfahrungen für normal halten. Einem Anbieter, der diesen Mechanismus durchschaut, gelingt es mitunter, diesen Ankerpreis zum eigenen Vorteil zu manipulieren. Ariely nennt die Preisstrategie der Kaffeehauskette Starbucks als Beispiel.

Wir sind zwar bereit, unsere Arbeit für einen guten Zweck zu verschenken, nicht aber, sie unter Preis abzugeben. In unserem Kopf haben wir zwei verschiedene "Abrechnungsbereiche", einen privaten und einen geschäftlichen, und es kommt entscheidend darauf an, auf welches Konto wir unsere Leistungen verbuchen. Es kommt dann zu merkwürdigen Verwerfungen, wenn äußere Umstände – zum Beispiel Arielys Experimente – die Grenzen zwischen den Bereichen verwischen.

Im Zustand sexueller Erregung ist ein Mensch bereit, Dinge zu tun, die er bei klarem Kopf entrüstet von sich weisen würde. Schlimmer noch: Selbst wenn ihm dieser Erregungszustand so geläufig und alltäglich ist wie einem Collegestudenten in Berkeley mit Anfang 20, schätzt er völlig falsch ein, wie er sich in diesem Zustand verhalten wird – wenn er sich beim Einschätzen im Zustand der Seelenruhe befindet.

Wir schätzen etwas, was wir besitzen, viel höher ein, als wir dafür zu bezahlen bereit sind, wenn wir es nicht besitzen. Wir treiben mehr Aufwand, um etwas geschenkt zu bekommen, als dafür, es für einen Cent zu erwerben. Wir sind bereit, unseren Geschäftspartner, Arbeitgeber oder eben Versuchsleiter um Kleinigkeiten zu betrügen, aber nur, wenn es sich um Naturalien und nicht um echtes Geld handelt. Das gilt selbst für Plastikchips, die man wenige Sekunden später in Geld eintauscht. Ein Placebo wirkt nicht nur, es wirkt auch umso besser, je teurer es ist (SdW 5/2008, S. 10).

Was macht man mit einer so geballten und eloquent formulierten Ladung der Nachricht "Du bist nicht Herr deiner selbst"? Na ja – als erste Reaktion ist Demut immer gut. Sich bewusst zu machen, dass man die eigenen Dinge nicht so im Griff hat, wie man sie gerne hätte, hilft gegen Selbsttäuschung mitsamt deren Spätfolgen. Ariely schlägt auch praktikable Vorkehrungen gegen zwei der häufigsten Selbsttäuschungen vor: "Ich kann am Ende alles bezahlen" und "Ich kriege diese Terminsache noch rechtzeitig fertig".

Aber dann regt sich doch Widerspruch. Ich will einfach nicht glauben, dass ich im Grunde meiner Seele so unvernünftig bin. Jedenfalls wenn es wirklich um die Wurst geht. Und die Versuchspersonen in Arielys Experimenten haben doch bestimmt so reagiert, wie es ihnen spontan in den Sinn kam, und nicht die Selbstdisziplin aufgebracht, die in einer echten Situation geboten wäre.

Leider ist das wahrscheinlich eine Ausrede. Das Buch liefert kein Argument, das sie stützen würde, und die Realität, zum Beispiel was meine eigene Selbstdisziplin angeht, eigentlich auch nicht.
  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 02/2009

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