Von welchen Tieren stammen die Vögel ab?
Als in China spektakuläre Fossilreste kleiner befiederter Dinosaurier entdeckt wurden (Spektrum der Wissenschaft 8/2004, S. 13, und 11/2004, S. 24), freuten sich nicht nur die Paläontologen über ein neues, starkes Indiz dafür, dass die Vögel von den Dinosauriern abstammen; auch in der Öffentlichkeit lebte das Interesse an Ursprung und früher Evolution der Vögel auf. Das klassische Bindeglied, das "Missing Link" im Sinn der Darwin’schen Evolutionslehre, ist nach wie vor der geologisch älteste bekannte Vogel, der Archaeopteryx aus den 150 Millionen Jahre alten lithografischen Schiefern von Solnhofen in Bayern.
Bisher sind alle Bücher zu dem Urvogel zunächst auf Englisch erschienen und nur zum Teil ins Deutsche übersetzt worden. "Der Flug des Archaeopteryx" ist da als ursprünglich deutsches Gewächs schon eine Besonderheit, und nicht nur in dieser Hinsicht: Es ist eine unterhaltsam geschriebene, populärwissenschaftliche Darstellung des gegenwärtigen Forschungsstands auf hohem Niveau, und das, obgleich sein Autor ein Seiteneinsteiger ist. Ludger Bollen, Jahrgang 1961, hat an der Hochschule für Künste in Bremen Grafikdesign studiert und ist hauptberuflich Grafiker beim Spiegel, beschäftigt sich aber seit vielen Jahren mit Zoologie, Evolutionsbiologie, Paläontologie und speziell mit dem Ursprung der Vögel und der Entstehung des Vogelflugs. Mit hervorragenden Illustrationen, professioneller Grafik und einem ansprechenden Layout hat er sein Werk selbst gestaltet.
Wie konnten sich Feder und Vogelflügel aus Strukturen entwickeln, die selbst nicht zum Flug befähigten und in dieser Hinsicht keinen Selektionsvorteil boten? Das ist die große Frage, an der sich viele Diskussionen entzündeten. Bollen schildert sie auf spannende Weise und geht dabei auch auf die Abstammungslehre Charles Darwins sowie die physikalischen Voraussetzungen und Grenzen für den Tierflug ein. Bei Formulierungen wie "schöpferischer Atem der Evolution" und "Lösungen, die die Natur ersonnen hat" muss man dem Autor zugutehalten, dass er nicht für den wissenschaftlichen Leser schreibt.
Kurzweilig erzählt Bollen die Geschichte der bisher zehn Fossilfunde des Archaeopteryx und ihrer wissenschaftlichen Auswertung. Es fehlen nicht die Dinosaurier, die, als "entfesselte Echsen" betitelt, eine zentrale Rolle als mögliche Vorfahren der Vögel spielen. Der Autor beschreibt in allgemein verständlicher Form die heute üblichen Methoden der kritischen Merkmalsanalyse (Kladistik), die zu den Verwandtschaftsverhältnissen zwischen Tiergruppen Indizien liefert, sowie die gängigen Hypothesen zur Physiologie, zum Wachstum und zur Flugfähigkeit des bayerischen Urvogels. Das Titelthema wird relativ kurz abgehandelt. Der Autor entschied sich hier für eine der diskutierten Interpretationen: Archaeopteryx war ein schlechter Flieger und nur zu kurzen, niedrigen Flatterflügen fähig.
Im Lauf der Wirbeltierevolution ist der aktive Flug mehrmals in unabhängigen Entwicklungen entstanden; Bollen erläutert das in Wort und Bild am Beispiel der Fledermäuse und der Flugsaurier. Unter dem doppelsinnigen Titel "Triebfeder der Evolution" diskutiert er die strukturellen, biomechanischen und aerodynamischen Voraussetzungen, die Vogelfeder und -flügel erfüllen müssen. Er übersetzt die Forschung zu den neuesten Fossilfunden und sogar komplizierte molekularbiologische Vorgänge, nicht nur aus dem Englischen ins Deutsche, sondern auch aus der Sprache der Wissenschaft in die Umgangssprache, und endet bei immer noch offenen Fragen: Wie ist der Vogelflug entstanden, vom Boden hinauf oder von den Bäumen herab? Wie verlief die Vogelevolution nach Archaeopteryx? Welche Fossilfunde geben hierüber Aufschluss? Wie überlebten die Vögel die große Aussterbewelle am Ende der Kreidezeit? Wo liegen die Wurzeln der neuzeitlichen Vögel?
Die Gliederung des Buchs ist nicht besonders logisch. Der Autor weicht zum Teil weit von seinem eigentlichen Thema ab. Das Literaturverzeichnis ist recht willkürlich zusammengestellt; es fehlen viele der Autoren, auf deren Forschungen Bezug genommen wird.
Einige sachlich unrichtige Angaben sind zu erwähnen: Das Wort "Dinosaurier" leitet sich nicht vom Lateinischen, sondern vom Griechischen ab. Das Kieferstück des Londoner Archaeopteryx-Exemplars stammt nicht vom Unterkiefer, sondern vom Oberkiefer. Der abgebildete Fährtenabdruck eines Flugsauriers wurde nicht in Crayssac (Frankreich), sondern in Arizona entdeckt. Die angebliche Behaarung des Flugsauriers Sordes stellte sich zum größten Teil als Fehlinterpretation heraus. Gleiches gilt für das "versteinerte Herz" des Dinosauriers Thescelosaurus. Fast alle Fundstellen der einzelnen Archaeopteryx-Exemplare sind falsch angegeben.
Insgesamt aber ist "Der Flug des Archaeopteryx" ein schönes, interessantes und lesenswertes Buch, im besten Sinn Wissenschaftsvermittlung, und darüber hinaus noch zu einem recht günstigen Preis.
Bisher sind alle Bücher zu dem Urvogel zunächst auf Englisch erschienen und nur zum Teil ins Deutsche übersetzt worden. "Der Flug des Archaeopteryx" ist da als ursprünglich deutsches Gewächs schon eine Besonderheit, und nicht nur in dieser Hinsicht: Es ist eine unterhaltsam geschriebene, populärwissenschaftliche Darstellung des gegenwärtigen Forschungsstands auf hohem Niveau, und das, obgleich sein Autor ein Seiteneinsteiger ist. Ludger Bollen, Jahrgang 1961, hat an der Hochschule für Künste in Bremen Grafikdesign studiert und ist hauptberuflich Grafiker beim Spiegel, beschäftigt sich aber seit vielen Jahren mit Zoologie, Evolutionsbiologie, Paläontologie und speziell mit dem Ursprung der Vögel und der Entstehung des Vogelflugs. Mit hervorragenden Illustrationen, professioneller Grafik und einem ansprechenden Layout hat er sein Werk selbst gestaltet.
Wie konnten sich Feder und Vogelflügel aus Strukturen entwickeln, die selbst nicht zum Flug befähigten und in dieser Hinsicht keinen Selektionsvorteil boten? Das ist die große Frage, an der sich viele Diskussionen entzündeten. Bollen schildert sie auf spannende Weise und geht dabei auch auf die Abstammungslehre Charles Darwins sowie die physikalischen Voraussetzungen und Grenzen für den Tierflug ein. Bei Formulierungen wie "schöpferischer Atem der Evolution" und "Lösungen, die die Natur ersonnen hat" muss man dem Autor zugutehalten, dass er nicht für den wissenschaftlichen Leser schreibt.
Kurzweilig erzählt Bollen die Geschichte der bisher zehn Fossilfunde des Archaeopteryx und ihrer wissenschaftlichen Auswertung. Es fehlen nicht die Dinosaurier, die, als "entfesselte Echsen" betitelt, eine zentrale Rolle als mögliche Vorfahren der Vögel spielen. Der Autor beschreibt in allgemein verständlicher Form die heute üblichen Methoden der kritischen Merkmalsanalyse (Kladistik), die zu den Verwandtschaftsverhältnissen zwischen Tiergruppen Indizien liefert, sowie die gängigen Hypothesen zur Physiologie, zum Wachstum und zur Flugfähigkeit des bayerischen Urvogels. Das Titelthema wird relativ kurz abgehandelt. Der Autor entschied sich hier für eine der diskutierten Interpretationen: Archaeopteryx war ein schlechter Flieger und nur zu kurzen, niedrigen Flatterflügen fähig.
Im Lauf der Wirbeltierevolution ist der aktive Flug mehrmals in unabhängigen Entwicklungen entstanden; Bollen erläutert das in Wort und Bild am Beispiel der Fledermäuse und der Flugsaurier. Unter dem doppelsinnigen Titel "Triebfeder der Evolution" diskutiert er die strukturellen, biomechanischen und aerodynamischen Voraussetzungen, die Vogelfeder und -flügel erfüllen müssen. Er übersetzt die Forschung zu den neuesten Fossilfunden und sogar komplizierte molekularbiologische Vorgänge, nicht nur aus dem Englischen ins Deutsche, sondern auch aus der Sprache der Wissenschaft in die Umgangssprache, und endet bei immer noch offenen Fragen: Wie ist der Vogelflug entstanden, vom Boden hinauf oder von den Bäumen herab? Wie verlief die Vogelevolution nach Archaeopteryx? Welche Fossilfunde geben hierüber Aufschluss? Wie überlebten die Vögel die große Aussterbewelle am Ende der Kreidezeit? Wo liegen die Wurzeln der neuzeitlichen Vögel?
Die Gliederung des Buchs ist nicht besonders logisch. Der Autor weicht zum Teil weit von seinem eigentlichen Thema ab. Das Literaturverzeichnis ist recht willkürlich zusammengestellt; es fehlen viele der Autoren, auf deren Forschungen Bezug genommen wird.
Einige sachlich unrichtige Angaben sind zu erwähnen: Das Wort "Dinosaurier" leitet sich nicht vom Lateinischen, sondern vom Griechischen ab. Das Kieferstück des Londoner Archaeopteryx-Exemplars stammt nicht vom Unterkiefer, sondern vom Oberkiefer. Der abgebildete Fährtenabdruck eines Flugsauriers wurde nicht in Crayssac (Frankreich), sondern in Arizona entdeckt. Die angebliche Behaarung des Flugsauriers Sordes stellte sich zum größten Teil als Fehlinterpretation heraus. Gleiches gilt für das "versteinerte Herz" des Dinosauriers Thescelosaurus. Fast alle Fundstellen der einzelnen Archaeopteryx-Exemplare sind falsch angegeben.
Insgesamt aber ist "Der Flug des Archaeopteryx" ein schönes, interessantes und lesenswertes Buch, im besten Sinn Wissenschaftsvermittlung, und darüber hinaus noch zu einem recht günstigen Preis.
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