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Verborgene Vorentscheidung

Haben Sie einen freien Willen? Die meisten Menschen bejahen diese Frage spontan. Die Vorstellung, aus mehreren Alternativen die beste Option frei auswählen zu können, bildet die Grundlage für alle Ideen von persönlicher Freiheit. Wie schwach diese Basis allerdings tatsächlich ist, zeigt der Wiener Wissenschaftstheoretiker Franz Wuketits in seinem aktuellen Werk auf.

Seit den Experimenten des amerikanischen Hirnforschers Benjamin Libet (1916 – 2007) Ende der 1970er Jahre wissen wir, dass der bewussten Willensentscheidung des Menschen eine unbewusste, nicht willentlich steuerbare Aktivität im Gehirn vorausgeht. In seinen Experimenten ließ Libet Versuchspersonen eine einfache Handbewegung ausführen. Dabei konnte er nachweisen, dass das Gehirn eines Probanden bereits circa eine halbe Sekunde vor dem Zeitpunkt aktiv wird, zu dem die Testperson bewusst die vermeintlich freie Entscheidung trifft, ihre Hand zu bewegen. Wuketits schließt daraus, dass die willentliche Handlung unbewusst gesteuert wird: "Bevor wir die Hand bewegen, haben tief in unserem Gehirn uns nicht bewusste Prozesse die Bewegung bereits entschieden."

Zwar haben Kritiker die Implikationen von Libets Befunden, die sich auch bei späteren Wiederholungen unter verbesserten Bedingungen replizieren ließen, vielfach in Frage gestellt. Unter anderem verwiesen sie auf die Bedeutung von Emotionen für die Willensentscheidung. Doch ein bewusst erfahrener Zorn ändere nichts an den vorausgehenden, ihn bewirkenden Vorgängen. Für Wuketits stellen solche Überlegungen nicht die aus seiner Sicht grundlegende Gewissheit in Frage, dass das, was wir als Willenshandlung ansehen, nur Ausdruck von neuronalen Vorentscheidungen ist, die sich unserer bewussten Kontrolle entziehen.

Auf 180 Seiten legt das Buch dar, wie sich die Illusion eines freien Willens im Lauf der Menschheitsgeschichte entwickeln konnte. Unser Gefühl von Freiheit sei demnach bloß "eine Folge der Evolution durch natürliche Auslese, die uns eben deshalb mit diesem Gefühl ausgestattet hat, weil es uns Vorteile bringt". Doch das bedeute nicht, dass unser Wille tatsächlich frei sei. Der Wissenschaftstheoretiker räumt allerdings ein, dass uns diese gefühlte Freiheit durchaus einen Nutzen bieten kann – etwa indem sie uns das Gefühl erlaubt, eigene Entscheidungen treffen und so unserem Leben einen Sinn geben zu können.

Das Problem der Schuld

Wie weit reichend die gesellschaftlichen Konsequenzen sind, die sich aus der Verneinung der Willensfreiheit ergeben, beschreibt nicht zuletzt jenes Kapitel des Buchs, in dem sich Wuketits über die Frage der Schuldfähigkeit von Straftätern auslässt. Wie soll eine Gesellschaft mit Kriminellen umgehen, wenn die Idee der Willensfreiheit einmal endgültig verworfen wird? Dieser Abschnitt gehört zu den interessantesten des insgesamt sehr lesenswerten Werks.

Als Fazit bleibt am Ende der Lektüre: Die Vorstellung von Willensfreiheit ist zwar ein Konstrukt, jedoch eines, das uns im Leben durchaus weiterhelfen kann. Oder mit den Worten des Autors: "Wer glaubt, über einen freien Willen zu verfügen, darf das getrost auch weiterhin tun." Diejenigen aber, die nicht (mehr) daran glauben, bräuchten deswegen auch nicht zu verzweifeln.
  • Quellen
Gehirn und Geist 3/2008

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