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Nützliche Illusion

Es muss eine einschneidende Erfahrung für den frühen Menschen gewesen sein: Als er die ersten Male mit selbst hergestellten Werkzeugen auf die Jagd ging, hatte er das Gefühl, die Welt beeinflussen zu können. In diesem Bewusstsein der eigenen Möglichkeiten könnte die Idee der menschlichen Willensfreiheit wurzeln. So stellt es sich jedenfalls der Wissenschaftstheoretiker Franz Wuketits vor.

In seinem locker geschriebenen Sachbuch "Der freie Wille. Die Evolution einer Illusion" bemüht sich der Autor um eine evolutionstheoretische Perspektive, die er wegen ihrer Breite und Tiefe für viel versprechend hält. Seine Grundannahme ist denkbar simpel: Keine der menschlichen Eigenschaften ist einfach so vom Himmel gefallen. Nicht nur unsere Anatomie, auch unsere mentalen Fähigkeiten haben sich im biologischen Kampf ums Dasein entwickelt und bewährt. Das Gehirn mag zunächst dafür zuständig gewesen sein, unmittelbar das Überleben seines Trägers in einer bedrohlichen Umwelt zu sichern. Doch irgendwann erzeugten die grauen Zellen des Menschen auch Illusionen, die ihm eher indirekt nützlich waren.

Zu Beginn seines Buches zappt sich der Autor leider allzu schnell durch die Philosophiegeschichte und streift nur kurz einige Befürworter und Gegner der Idee der Willensfreiheit. Für verfehlt hält er die Ansicht vieler Philosophen, der Natur des Menschen die Kultur gegenüberzustellen und zu fordern, der Mensch müsse sich von seiner ursprünglichen Natur befreien. Kultur und Moral bedeuten für Wuketits im Gegenteil eine Steigerung uralter stammesgeschichtlicher Prinzipien, die dem Menschen als sozialem Wesen das Leben und Überleben ermöglicht haben.

Schon im ersten Kapitel verfällt Wuketits einem unseligen Hang zu Sprüngen. Statt stringent zu argumentieren, reiht er lieber Gedanken assoziativ aneinander. Sein Buch gleicht über weite Strecken einem Sammelsurium von Zitaten. Seine hoch originelle Hauptthese – die Vorstellung der Willensfreiheit habe sich im Daseinskampf als praktische Einbildung ausgebildet – führt er auch nur kurz aus. Ersatzweise beschreibt er die Kraft und Nützlichkeit von Illusionen und spekuliert darüber, wie sich der prähistorische Mensch in einer kalten, feindlichen Welt mit Selbsttäuschungen aus Religion und Aberglaube getröstet habe. Mantraartig betont er dabei immer wieder die lange biologische Geschichte des Menschen, in deren Verlauf auch soziale Verhaltensweisen entstanden sind.

Zu eigenständigen geistigen Höhenflügen schwingt er sich endlich auf, wenn er die gängigen Thesen der modernen Hirnforschung referiert: Die Idee der Willensfreiheit sei nur ein Produkt des menschlichen Gehirns. Unsere vermeintliche Fähigkeit, frei zwischen verschiedenen Optionen zu wählen, wird von Neigungen, unbewussten Motivationen und neuronalen Prozessen bestimmt, die unseren bewussten Entscheidungen immer vorausgehen. Wenn nun auch der Wille unfrei ist, muss der Mensch als soziales Wesen nach Wuketits dennoch zur Verantwortung gezogen werden, sobald er gesellschaftliche Normen bricht. Schließlich sind wir auf ein funktionierendes Zusammenleben angewiesen.

Lesern mit Vorkenntnissen bietet dieses wenig originelle Buch wahrscheinlich kaum eine neue Erkenntnis. Selbst Einsteigern, die sich einen Überblick über die Debatte zur Willensfreiheit verschaffen wollen, ist es nur bedingt zu empfehlen. Aber frei nach Wuktetits: Entscheiden Sie bitte selbst.

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