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Millionen für ein Heureka

Unbestritten war er einer der größten Wissenschaftler aller Zeiten: Archimedes von Syrakus (um 287 – 212 v. Chr.), der im Bade -"Heureka!" – die Sache mit dem Auftrieb so auf den Punkt brachte, dass daran bis heute nichts nachzubessern ist. Seine Näherung für die Kreiszahl Pi blieb für mehr als tausend Jahre unübertroffen. Indem er Ideen aus der Physik für seine mathematische Beweisführung verwendete, überwand er die traditionellen Denkverbote der antiken griechischen Mathematik und fand Ergebnisse, die seinen Zeitgenossen bis dahin nicht zugänglich waren.

Nur Abschriften von dreien seiner Werke, üblicherweise als Kodex A, B und C bezeichnet, haben zunächst bis ins Mittelalter überlebt. Das wissen wir von den ersten beiden leider nur aus Berichten. Kodex C hingegen wurde 1906 von dem Kopenhagener Gelehrten Johan Ludvig Heiberg in Konstantinopel entdeckt und philologisch bearbeitet, verschwand abermals, tauchte wieder auf und wurde 1998 für stolze 2,2 Millionen Dollar von einem Unbekannten ersteigert. Dieser vertraute die Handschrift William Noel an, Kurator für Handschriften am Walters Art Museum in Baltimore (Maryland).auf dass er den Text wieder lesbar mache, koste es, was es wolle. Gemeinsam mit dem Philologen Reviel Netz, Professor für antike Wissenschaft in Stanford (Kalifornien), machte sich Noel an die gewaltige Aufgabe. Ihr Buch erzählt sehr ausführlich nicht nur von den Ergebnissen, sondern auch von dem mühsamen Weg dorthin.

Kodex C ist ein so genanntes Palimpsest: Der ursprüngliche Text auf Pergament wurde irgendwann abgeschabt und die Blätter erneut genutzt, in diesem Fall für ein Gebetbuch. Obendrein hat man sie dafür auch in der Mitte gefaltet und gebunden, sodass einige der originalen Zeilen im Bund verschwanden. Um sie zugänglich zu machen, musste der ohnehin stark beschädigte Kodex zerlegt werden.

Vom alten Text haben nur Spuren das Abschaben überstanden, und auch die waren neben der Zweitbeschriftung kaum zu erkennen. Ein Durchbruch gelang Noel und Netz nach vielen Versuchen auf ziemlich gewaltsamem Weg: Physiker "fotografierten" die Seiten mit der äußerst starken Röntgenstrahlungsquelle des Linearbeschleunigers von Stanford. Insbesondere ließen sich alte und neue Tinten dank ihrer unterschiedlichen chemischen Zusammensetzung nun unterscheiden. Das Ergebnis liegt jetzt in Form hoch aufgelöster Bilddateien vor, alle weiteren Bearbeitungsschritte finden im Computer statt, das traktierte Original bleibt künftig verschont.

Der Lohn der großen Mühe fiel jedoch gering aus. Immerhin ist Kodex C die einzige Quelle für die Abhandlungen "Die Methode" und "Stomachion "- Leider sind von letzterer nur wenige Seiten erhalten geblieben. So wissen wir zwar, dass das Thema ein Legepuzzle war, nicht aber, was Archimedes dazu sagte. Der Titel lässt nur darauf schließen, dass es den Leser äußerst forderte: Da das Zwerchfell als Denkorgan galt, zerbrach man sich an einem solchen Rätsel nicht den Kopf, sondern bekam Bauchweh, griechisch stomachion. Zudem enthält Kodex C die Abhandlung "Über schwimmende Körper", die bislang nur aus Übersetzungen bekannt war; doch der Vergleich mit dem Original brachte auch hier keine großen Überraschungen.

Insgesamt ergibt sich ein merkwürdiges Missverhältnis zwischen dem Sensationsfund und dem betriebenen technischen Aufwand einerseits, einer mageren Ausbeute andererseits. Am Ende stellt sich heraus, dass der "Erstentdecker" Heiberg vor hundert Jahren mit seiner Bearbeitung meist richtig gelegen hatte. Allerdings war das Palimpsest damals noch besser erhalten als heute, was die Möglichkeit für handfeste Befunde erheblich einschränkt.

Um ihrem Helden Ehre anzutun, wagen sich Netz und Noel auf das dünne Eis der Interpretation. Und da staunt der Leser, wenn sie aus einem einzigen Buchstaben ein ganzes Wort erschließen und aus diesem wiederum die Erkenntnis, Archimedes habe bereits wesentliche Teile der modernen Infinitesimalrechnung vorweggenommen. Doch solche Spekulationen wirken verfehlt. Archimedes’ Rang gründet sich nicht auf ein Fortwirken seiner Erkenntnisse über den Tod hinaus. Vermutlich hatten schon seine Zeitgenossen Schwierigkeiten, den ungewohnten Gedankengängen zu folgen. Ob Archimedes’ Nachfolger bei der modernen Mathematik angekommen wären, hätte jemand sein Werk weitergeführt, steht in den Sternen. Seiner Genialität tut das keinen Abbruch.

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