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Duell der Physikgiganten

Der amerikanische Physiker Leonard Susskind (Spektrum der Wissenschaft 6/1997, S. 58) betreibt Quantenmechanik, ist also Mikrophysiker. Sein britischer Fachkollege Stephen Hawking (Spektrum der Wissenschaft 9/1996, S. 46), der Star der Theorie Schwarzer Löcher, arbeitet über relativistische Gravitationstheorie, ist also Makrophysiker. Damit verkörpern die beiden Wissenschaftsstars jene zwei Theoriekomplexe, deren Vereinigung zu einer Quantentheorie der Gravitation bislang trotz aller Bemühungen nicht gelingen will.

Aber es gibt ein viel älteres Problem zwischen Mikro- und Makrophysik, noch aus der klassischen Ära, vor dem Aufkommen der Quantentheorie: Was ist Entropie? Sie wird gern veranschaulicht als Maß für Unordnung, ist aber präziser definiert als der Logarithmus der Anzahl der Mikrozustände – zum Beispiel der unterschiedlichen Atomkonfigurationen in einem Gas –, die denselben Makrozustand ergeben, im Beispiel ein Gasvolumen mit einer bestimmten Temperatur. Doch Susskind verquickt makroskopische Entropie mit mikroskopischer Information: Er nennt Entropie "versteckte Information" und meint damit die kompletten Daten über sämtliche Mikrozustände.

Das ist ein terminologischer Trick. Traditionell ist Information das Gleiche wie Entropie, nur mit einem Minuszeichen. Während Entropie tendenziell zunimmt – Unordnung wächst spontan, sie zu senken erfordert Arbeit –, nimmt Information tendenziell ab; sie hat die Neigung, im allgemeinen Zufallsrauschen unterzugehen. Vor allem sind nach herkömmlichem Verständnis Entropie und Information statistische Begriffe. Sie stehen für makroskopische Mittelwerte von mikroskopischen Zuständen.

Susskind aber setzt Information mit den mikroskopischen Quantenzuständen eines Systems gleich – und die verschwinden nicht einfach. Quantenzustände können sich nur ineinander umwandeln; Teilchen können aus Teilchen entstehen oder in pure Energiepakete zerstrahlen, aber der Gesamtzustand des Systems ist durch die so genannte Unitarität der Quantengleichungen gekennzeichnet. Sie garantiert, dass kein Mikrozustand auf Nimmerwiedersehen verschwindet.

Der "Krieg um das Schwarze Loch", wie Susskind sich ausdrückt, oder – weniger martialisch – das Informationsparadoxon Schwarzer Löcher dreht sich also um unterschiedliche Definitionen von Information. Hawking versteht sie klassisch-thermodynamisch, Susskind deutet sie quantenmechanisch. Warum? Weil Hawking Schwarze Löcher als "große" – der einsteinschen Gravitationstheorie gehorchende – kosmologische Objekte betrachtet, während Susskind betont, auch für sie sei in letzter Instanz die Quantenphysik zuständig. Darum findet Hawking nichts dabei, wenn Information in Schwarzen Löchern verschwindet; für Susskind ist das ein Skandal, der die Grundlagen der Physik gefährdet.

Das Buch beschreibt sehr unterhaltsam, wie zunächst nur ein paar Quantentheoretiker, insbesondere der Holländer Gerard ’t Hooft und Susskind selbst, gegen Hawking Sturm liefen. Schließlich aber überzeugten sie die Mehrheit der Schwarzlochspezialisten – sogar Hawking selbst – davon, dass Information, mikrophysikalisch verstanden, nicht für ewig im Schwarzen Loch gefangen bleibt. Irgendwann und irgendwie entkommt sie ihm, und zwar mit speziellen Eigenschaften der von Hawking theoretisch entdeckten und nach ihm benannten Strahlung.

Solange die große Vereinigung von Gravitation und Quantenmechanik nicht vollzogen ist, bleibt das freilich ein Streit um des Kaisers Bart. Susskind schildert die Hintergründe des "Kriegs" sehr geschickt, muss sich aber am Ende hastig in extrem spekulative Bereiche der Mikrophysik vorwagen, wo sogar ein Kernteilchen wie das Proton als kompliziert aus Quantenfäden – "Strings" – zusammengesetztes Riesenobjekt erscheint. In die von Susskind beschworenen Regionen gigantischer Energien und winzigster Distanzen wird nicht einmal der derzeit größte Teilchenbeschleuniger, der Large Hadron Collider, jemals eindringen.

Eine Moral von Susskinds Geschichte scheint mir zu sein, dass der zwischen Mikro- und Makrophysik schillernde Informationsbegriff kaum als fundamentale Größe für die gesamte Physik geeignet ist – auch wenn prominente Theoretiker von Carl Friedrich von Weizsäcker über John Wheeler ("The It from Bit") bis Anton Zeilinger das behauptet haben.

Mikrophysikalisch gedeutet ist "Information" ein Synonym für die Gesamtheit der Mikrozustände eines Makrobjekts, das im Schwarzen Loch verschwindet und – bis zur Unkenntlich- keit in Hawkingstrahlung verwandelt – komplett wieder auftaucht. Auch beim Brand der antiken Bibliothek von Alexandria blieben theoretisch alle Bücher und Texte erhalten – als Asche, Wärmestrahlung und warme Luft. Hingegen sind gemäß der statistischen Informationstheorie die verbrannten Bücher in jedem praktischen Sinn unwiederbringlich verloren.

Dabei wäre das Kunststück, die größte Bibliothek des Altertums aus ihrer Asche zu rekonstruieren, noch unermesslich viel einfacher als der Rückgewinn sämtlicher in einem Schwarzen Loch verschwundenen Quantenzustände aus der gesamten Strahlung des irgendwann vollständig verdampften Lochs. Susskinds Buch führt vor, wie weit die Grundlagenphysik noch gehen muss, bis sich die Umrisse einer Theorie von Allem abzeichnen.
  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 9/2011

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