In der Steinzeit hängen geblieben
Vor einem Jahrzehnt haben sich die amerikanischen Kognitionswissenschaftler Christopher Chabris und Daniel Simons ein raffiniertes Experiment einfallen lassen, das die Idee des Multitasking ad absurdum führt. Sie zeigten Studenten einen kurzen Videofilm, in dem Basketballer in weißen und schwarzen Trikots gegeneinander spielten. Die Versuchsteilnehmer sollten nichts weiter tun als die Pässe der Spieler in Weiß zu zählen und die der Spieler in Schwarz zu ignorieren. Etwa in der Mitte des Films tauchte plötzlich eine junge Frau in einem Gorillakostüm auf, blieb mitten im Feld stehen, trommelte sich auf die Brust, blickte direkt in die Kamera und verschwand dann nach einigen Sekunden wieder. Als die Versuchspersonen unmittelbar danach gefragt wurden, ob sie etwas Ungewöhnliches bemerkt hätten, stellte sich heraus, dass lediglich jede zweite den Gorilla wahrgenommen hatte.
Doch kommt es zu solchen Fehlwahrnehmungen auch dann, wenn die Versuchspersonen statt mit Filmsequenzen mit Menschen aus Fleisch und Blut konfrontiert werden? Um das zu klären, hat Daniel Simons gemeinsam mit dem Sozialpsychologen Daniel Levin ein weiteres Experiment durchgeführt. Hierbei wurden Studenten auf dem Campus ihrer Universität mit einem Fußgänger konfrontiert, der sich, einen Stadtplan in der Hand, bei ihnen erkundigte, wie er zur Bibliothek gelangen könnte. Doch jedes Mal, wenn ein Student gerade damit begonnen hatte, dem Ortsfremden den Weg zu erklären, zwängten sich zwei Bauarbeiter zwischen ihnen hindurch, die eine große Holztür trugen. Hinter der Tür hielt sich jemand verborgen, der genau in dem Moment, als dem Studenten der Blick versperrt war, den Mann ersetzte, der angeblich den Weg zur Bibliothek suchte. Dieses Experiment ergab einen erstaunlichen Befund: Nahezu 50 Prozent der Versuchspersonen fiel diese Auswechselung überhaupt nicht auf.
Im Jahre 1990 führten die Sozialpsychologen Jonathan Schooler und Tonya Engstler-Schooler ein Experiment durch, bei dem den Versuchspersonen ein 30 Sekunden dauernder Film über einen Banküberfall präsentiert wurde – wobei das Gesicht des Täters kurz deutlich zu sehen war. Danach wurden die Probanden in zwei Gruppen aufgeteilt. Die eine Gruppe erhielt die Aufgabe, das Aussehen des Bankräubers in allen Einzelheiten schriftlich zu beschreiben. Die Mitglieder der anderen Gruppe hingegen brauchten sich mit dem Film nicht weiter zu beschäftigen.
Anschließend wurde sämtlichen Probanden acht Aufnahmen ähnlich aussehender Männer vorgelegt, und jeder einzelne Proband sollte angeben, in welcher er den Bankräuber wiederzuerkennen glaubte. Das verblüffende Ergebnis: Von den Versuchspersonen, die den Täter vorher detailliert schriftlich beschrieben hatten, schafften es bloß 38 Prozent, ihn zu identifizieren. Von den übrigen Versuchspersonen gelang das 64 Prozent.
Christopher Chabris und Daniel Simons befassen sich in ihrem Buch mit insgesamt sechs verschiedenen Arten von Täuschungen und ihren vielfältigen Auswirkungen auf die Alltagspraxis. Diese Täuschungen sind in ihren Augen darauf zurückzuführen, dass bestimmte neuronale Schaltkreise, die auf die Verhältnisse der Steinzeit zugeschnitten sind, in den komplexen Verhältnissen der modernen Zivilisation längst nicht so gut funktionieren.
Chabris und Simons können zwar nicht mit völlig neuen Erkenntnissen aufwarten, und sie neigen dazu, für ihre eigenen Einsichten ständig Propaganda zu machen und weitschweifig zu werden. Aber abgesehen davon trägt ihr Buch, das ohne jeden Fachjargon auskommt, nicht wenig dazu bei, eine ganze Reihe von Alltagsphänomenen besser zu verstehen.
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