Die Bildungskatastrophe
Falls Sie zu denjenigen gehören, die schon immer gesagt haben, dass unser (preußisches) Schulsystem so miserabel ist, dass man es schon längst über Bord hätte werfen sollen, dann kommen Sie nicht um das Buch "Die Bildungshochstapler" von Thomas Städtler herum. Seine Kernaussage ist: Die Deutschen befinden sich in einer wahren Bildungskatastrophe! Denn nach Städtler "lernt der Mensch ein Leben lang, mit Ausnahme der Schuljahre!" Wie realistisch ist diese Aussage? Steht es tatsächlich so schlecht um unser Bildungssystem? Oder übertreibt der Autor?
Viel geredet, diskutiert und geschrieben wird über unser deutsches Schulsystem. Viele intelligente Menschen haben schon unzählige Vorschläge für eine Verbesserung unterbreitet, aber Städtler greift ins Fundamentale. Er fordert eine Kürzung unserer Lehrpläne um 90 Prozent. Sein Buch versucht kurz und direkt eine Analyse der schulischen Leistungen unserer Schüler. Sein Forschungsansatz ist das Minimax-Prinzip: Hier wird die Effizienz des deutschen Bildungssystem unter der Vorgabe betrachtet, bei welchen Minimalanforderungen maximale Defizite entstehen.
Der Autor zeigt in seinem Buch eindeutig, dass unser System bereits bei elementaren Anforderungen kläglich versagt: "Ein Auto, bei dem Bremsen und Motor nicht gehen, ist gewissermaßen 'falsifiziert'. Und für Schule, die kein Bildungsminimum zuverlässig vermittelt, gilt das Gleiche." Städtler geht sogar noch weiter und behauptet, dass Lehrer nicht in der Lage seien, das Wissen und Können ihrer Schüler adäquat einzuschätzen. Deshalb könnten auch Leistungen nicht entsprechend bewertet werden, da keiner wirklich weiß, über welches Wissen ein Schüler tatsächlich verfügt.
Das Buch zeigt die mangelnden Kenntnisse unser Schüler, die später Studenten, Auszubildende, Berufstätige werden, in unterschiedlichen Fächern auf: Mathematik – das Hassfach, Geschichte – welche Erinnerung bleibt, Biologie – totes Wissen in der Lebendigkeit, Sozialkunde, Wirtschaft, Deutsch, Englisch, Physik sowie Sport, Musik und Kunst – in nahezu allen Fächern läuft etwas falsch. Ganz am Ende gibt Städtler einen Überblick über die Schlüsselfertigkeiten, etwa sich einen Plan machen, Strukturierung von Gedanken, Lese, Sprech- und Schreibkompetenz oder gar Informationen zu sammeln, die man in der Schule erwerben müsste. Diese müssten als Basis vor dem eigentlichen Erwerb eines Wissens vermittelt werden, da nur sie einen Menschen dazu befähigen, Entscheidungen zu treffen, Kritik zu üben, Termine einzuhalten und vieles mehr.
Die Defizite der Schüler in den einzelnen Fächern, die Städtler und auch andere anhand von kleinen Tests und Fragestellungen überprüften, zeigen ganz klar, dass es nicht darum geht, in den verschiedenen Fächern viele unwichtige Einzelheiten zu kennen. Vielmehr muss eine Grundbasis gelegt werden, auf die der Schüler dann aufbauen kann beziehungsweise die er nach Wunsch vertiefen kann.
Schauen wir uns die Mathematik an: Grundlagen wie Zinsrechnung und Dreisatz, die man tatsächlich täglich benötigt, können viele Schüler nicht. Hier spreche ich aus Erfahrung, denn einerseits habe ich eine Tochter, die die achte Klasse eines Gymnasiums besucht, und unterrichte Schüler der Oberstufe sowie Studenten, die einfache mathematische Zusammenhänge nicht verstehen. Sie haben Probleme, selbst einfache Aufgaben zu lösen. Wenn man sich mit Schülern unterhält, auch mit ehemaligen, dann ist das am meisten gehasste Fach die Mathematik. Warum eigentlich? "Das Gymnasium strebt Mathematik an und vermittelt nicht mal Rechnen!" meint Städtler.
Ähnlich geht es auch in der Biologie zu, wo ebenfalls Kenntnisse vermittelt werden, die eigentlich erst an der Universität auftauchen sollten. Aber Zusammenhänge,etwa die Evolution und die Entstehung des Menschen, die Kennzeichen, die einen Menschen vom Tier abheben oder gar die Frage nach den Merkmalen von Säugetieren, kennen die Wenigsten. Als Fachlehrerin muss ich dem Autor recht geben.Wir müssen Einzelheiten abfragen, die nicht gerechtfertigt sind. Es wird nicht nach Interessen, Kompetenzen, Schwerpunkten und Vorzügen der Schüler geschaut, stattdessen unterrichten wir nach Plan. Auch die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Fächern und geschichtliche Aspekte fehlen den Schülern in allen Bereichen.
Noch schlimmer sieht es in den Sprachwissenschaften aus. "Ich bin sprachlos" lautet die Überschrift zum Fach Deutsch. Das trifft auf mich ebenfalls zu, wenn ich Klausuren korrigiere. Wo bleibt unsere Rechtschreibung, die Grammatik? Wird sie heute nicht mehr gelehrt? Sind nicht diese Grundlagen fundamental, um eine Sprache zu verstehen und einen Bezug zu ihr zu entwickeln?
In den meisten Punkten stimme ich deshalb mit dem Autor überein. Allerdings müssen wir realistisch sein: Viele Bemühungen, dieses starre Schulsystem zu durchbrechen, sind gescheitert. Unser Bildungssystem – und damit die Bildung unserer Kinder verliert – immer mehr an Boden. Das Zentralabitur hat das weiter verstärkt und die Kluft noch vergrößert, denn dadurch sind uns die Hände mehr denn je gebunden und wir genießen keine Freiheiten mehr in der Lehre.
Das Buch enthält neben einem ausführlichen Literaturverzeichnis eine ganze Anzahl von Zitaten, die immer wieder in die Texte eingebaut werden. Sie sind passend, prägnant und unterstützen das Lesen dieser leichten Lektüre. Städtler schreibt in seinem Nachwort, dass dieses Buch lediglich einen Teil seiner zirka zehnjährigen Bildungsforschungsarbeit darstellt. Ich bin gespannt auf die nächsten Lektüren und schließe mit einem Zitat aus dem Buch – einer chinesischen Weisheit: "Der wahre Weg ist der einfache. Gehe ihn und vergiss dabei, dass er einfach ist!"
Viel geredet, diskutiert und geschrieben wird über unser deutsches Schulsystem. Viele intelligente Menschen haben schon unzählige Vorschläge für eine Verbesserung unterbreitet, aber Städtler greift ins Fundamentale. Er fordert eine Kürzung unserer Lehrpläne um 90 Prozent. Sein Buch versucht kurz und direkt eine Analyse der schulischen Leistungen unserer Schüler. Sein Forschungsansatz ist das Minimax-Prinzip: Hier wird die Effizienz des deutschen Bildungssystem unter der Vorgabe betrachtet, bei welchen Minimalanforderungen maximale Defizite entstehen.
Der Autor zeigt in seinem Buch eindeutig, dass unser System bereits bei elementaren Anforderungen kläglich versagt: "Ein Auto, bei dem Bremsen und Motor nicht gehen, ist gewissermaßen 'falsifiziert'. Und für Schule, die kein Bildungsminimum zuverlässig vermittelt, gilt das Gleiche." Städtler geht sogar noch weiter und behauptet, dass Lehrer nicht in der Lage seien, das Wissen und Können ihrer Schüler adäquat einzuschätzen. Deshalb könnten auch Leistungen nicht entsprechend bewertet werden, da keiner wirklich weiß, über welches Wissen ein Schüler tatsächlich verfügt.
Das Buch zeigt die mangelnden Kenntnisse unser Schüler, die später Studenten, Auszubildende, Berufstätige werden, in unterschiedlichen Fächern auf: Mathematik – das Hassfach, Geschichte – welche Erinnerung bleibt, Biologie – totes Wissen in der Lebendigkeit, Sozialkunde, Wirtschaft, Deutsch, Englisch, Physik sowie Sport, Musik und Kunst – in nahezu allen Fächern läuft etwas falsch. Ganz am Ende gibt Städtler einen Überblick über die Schlüsselfertigkeiten, etwa sich einen Plan machen, Strukturierung von Gedanken, Lese, Sprech- und Schreibkompetenz oder gar Informationen zu sammeln, die man in der Schule erwerben müsste. Diese müssten als Basis vor dem eigentlichen Erwerb eines Wissens vermittelt werden, da nur sie einen Menschen dazu befähigen, Entscheidungen zu treffen, Kritik zu üben, Termine einzuhalten und vieles mehr.
Die Defizite der Schüler in den einzelnen Fächern, die Städtler und auch andere anhand von kleinen Tests und Fragestellungen überprüften, zeigen ganz klar, dass es nicht darum geht, in den verschiedenen Fächern viele unwichtige Einzelheiten zu kennen. Vielmehr muss eine Grundbasis gelegt werden, auf die der Schüler dann aufbauen kann beziehungsweise die er nach Wunsch vertiefen kann.
Schauen wir uns die Mathematik an: Grundlagen wie Zinsrechnung und Dreisatz, die man tatsächlich täglich benötigt, können viele Schüler nicht. Hier spreche ich aus Erfahrung, denn einerseits habe ich eine Tochter, die die achte Klasse eines Gymnasiums besucht, und unterrichte Schüler der Oberstufe sowie Studenten, die einfache mathematische Zusammenhänge nicht verstehen. Sie haben Probleme, selbst einfache Aufgaben zu lösen. Wenn man sich mit Schülern unterhält, auch mit ehemaligen, dann ist das am meisten gehasste Fach die Mathematik. Warum eigentlich? "Das Gymnasium strebt Mathematik an und vermittelt nicht mal Rechnen!" meint Städtler.
Ähnlich geht es auch in der Biologie zu, wo ebenfalls Kenntnisse vermittelt werden, die eigentlich erst an der Universität auftauchen sollten. Aber Zusammenhänge,etwa die Evolution und die Entstehung des Menschen, die Kennzeichen, die einen Menschen vom Tier abheben oder gar die Frage nach den Merkmalen von Säugetieren, kennen die Wenigsten. Als Fachlehrerin muss ich dem Autor recht geben.Wir müssen Einzelheiten abfragen, die nicht gerechtfertigt sind. Es wird nicht nach Interessen, Kompetenzen, Schwerpunkten und Vorzügen der Schüler geschaut, stattdessen unterrichten wir nach Plan. Auch die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Fächern und geschichtliche Aspekte fehlen den Schülern in allen Bereichen.
Noch schlimmer sieht es in den Sprachwissenschaften aus. "Ich bin sprachlos" lautet die Überschrift zum Fach Deutsch. Das trifft auf mich ebenfalls zu, wenn ich Klausuren korrigiere. Wo bleibt unsere Rechtschreibung, die Grammatik? Wird sie heute nicht mehr gelehrt? Sind nicht diese Grundlagen fundamental, um eine Sprache zu verstehen und einen Bezug zu ihr zu entwickeln?
In den meisten Punkten stimme ich deshalb mit dem Autor überein. Allerdings müssen wir realistisch sein: Viele Bemühungen, dieses starre Schulsystem zu durchbrechen, sind gescheitert. Unser Bildungssystem – und damit die Bildung unserer Kinder verliert – immer mehr an Boden. Das Zentralabitur hat das weiter verstärkt und die Kluft noch vergrößert, denn dadurch sind uns die Hände mehr denn je gebunden und wir genießen keine Freiheiten mehr in der Lehre.
Das Buch enthält neben einem ausführlichen Literaturverzeichnis eine ganze Anzahl von Zitaten, die immer wieder in die Texte eingebaut werden. Sie sind passend, prägnant und unterstützen das Lesen dieser leichten Lektüre. Städtler schreibt in seinem Nachwort, dass dieses Buch lediglich einen Teil seiner zirka zehnjährigen Bildungsforschungsarbeit darstellt. Ich bin gespannt auf die nächsten Lektüren und schließe mit einem Zitat aus dem Buch – einer chinesischen Weisheit: "Der wahre Weg ist der einfache. Gehe ihn und vergiss dabei, dass er einfach ist!"
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